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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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letzten Kettenraucher, die er kannte.
    „Es fragen hin und wieder immer noch Leute nach dir“, sagte der Verleger, nachdem er tief inhaliert hatte. „Vor zwei Wochen wollte dich ein Fan persönlich kennen lernen.“
    „Aha“, machte Richard nur. Er wusste, dass er sich auf Sängers Schweigen verlassen konnte. Sie redeten noch eine Weile über Unverfängliches – gemeinsame Bekannte und das kulturelle Leben im Ruhrgebiet – und als der Verleger aufgelegt hatte, blieb ein beinahe körperliches Gefühl der Einsamkeit zurück.
    Richard schaltete den Computer aus und holte einen Lappen aus der Küche, um den Kaffee aufzuwischen.

    Eine Stunde nach dem Anruf ging es Richard so schlecht, dass er sich zum ersten Mal seit Tagen ins Wohnzimmer setzte und den Fernseher einschaltete. Es war nicht ein plötzliches Interesse an dem für ihn sonst so belanglosem Programm, sondern der Wunsch Menschen zu sehen, zu hören, sie um sich zu haben, wenn auch nur auf der Mattscheibe des Fernsehers. Er wählte eine Spielshow bei einem privaten Sender, beobachtete wie Teilnehmer zu menschlichen Kegelpuppen degradiert wurden oder sich beim Erklettern eines künstlichen Eisbergs die Nase blutig stießen. Das entwürdigende Abstrampeln der Leute für eine sechsstellige Gewinnsumme machte ihn wütend und traurig. So traurig, dass er mit dem Gedanken spielte Maria anzurufen. Wie würde sie reagieren? Irgendetwas in ihm mahnte ihn zur Vorsicht. Er war am jetzigen Abend nicht in der richtigen Verfassung, eine Frau für sich zu gewinnen.
    Richard sah sich in seinem Wohnzimmer um. Er hatte sich eine Rückzugsmöglichkeit geschaffen, eine Höhle, in der er sich wie ein waidwundes Tier vor den Häschern verbarg. Dabei hatte seine Zukunft als Autor vor gar nicht so langer Zeit ziemlich verlockend ausgesehen.
    Die Erinnerung an seinen letzten Roman machte ihn plötzlich zornig. Er trat so heftig gegen den Tisch, dass der einen Satz nach vorn machte. Im Fernsehen wurde die Sendung für eine Werbepause unterbrochen und Richard stellte fest, dass die sportlichen Männer, die sich für eine Biermarke ins Zeug legten, lispelten.
    Wenn das ein besonderer Gag sein sollte, erschloss sich Richard nicht der Sinn. Im nächsten Clip rasierte sich ein Mann mit Waschbrettbauch. Unterlegt mit einer harten Männerstimme, die ebenfalls lispelte. Richard griff nach der Fernbedienung, blies den Staub von der Tastatur und stellte den Ton lauter. Das Lispeln setzte sich auch bei der Pizza-Werbung fort, der Sprachfehler wurde eher noch ausgeprägter. Richard schaltete auf einen anderen Kanal. Dort lag sich ein Hollywood-Paar in den Armen und tauschte vor der nächtlichen Kulisse New Yorks Liebesschwüre aus. Lispelnd.
    Richard schüttelte den Kopf so heftig, als würde er verzweifelt versuchen eingedrungenes Wasser aus seinen Gehörgängen zu entfernen. Bei der Bewegung verzerrte sich das Zimmer vor seinen Augen, zerfloss zu öligen Schlieren. Er hielt abrupt inne. Das Bild normalisierte sich, aber er hatte das Gefühl, als würde der Boden unter ihm leicht schwanken. Wie bei einem großen Schiff bei mittelschwerem Seegang.
    Richard schaltete den Fernseher aus und lauschte in die plötzliche Lautlosigkeit. Die Ratten verhielten sich ruhig. Wenn sie aktiv gewesen wären, hätte er sie bis ins Wohnzimmer hören können. Vermutlich hatte sie der Kammerjäger tatsächlich erledigt.
    Irgendwo knackte es leise.
    Normal, sagte sich Richard. Ein altes Gemäuer arbeitet. Und der Fernseher ist vermutlich kaputt. Aber die Schlieren ...
    Er stand auf und fühlte sich etwas sicherer, als der Boden unter ihm wieder zu seiner üblichen Stabilität gefunden hatte.
    Richard schaltete die Stereoanlage ein. Im CD-Spieler lag noch immer ein Album von Kate Bush. Die außergewöhnliche Stimme der Sängerin hatte ihn immer beim Schreiben inspiriert.
    Jetzt klang sie so schrill, dass ihm der Gesang augenblicklich Kopfschmerzen bereitete. Und Kate Bush hatte deutliche Probleme mit der Aussprache.
    Sie lispelte.
    Richard drückte die Stopp-Taste. Sein Herz raste. Dr. Busch hatte ihm geraten, in solch einer Situation zu prüfen, ob das was er sieht, hört oder riecht, Realität sein kann. Und das hier konnte eindeutig nicht real sein.
    Richard hielt sich am Schrank fest und spürte wie das Holz unter seinen Fingern ein wenig nachgab. Es fühlte sich unnatürlich weich an. Die Konsistenz erinnerte ihn an Knetgummi.
    Richard hörte ein Glucksen und versuchte das Geräusch zu lokalisieren.
    Er

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