Zwilling verzweifelt gesucht
von uns beiden ihr Handy verliert. Ich frage Alisia, ob wir wohl einen Finderlohn anbieten müssen, so wie die Leute, deren Hund entlaufen ist. Aber Alisia meint, das wäre komisch. Also beschließen wir die Anzeige mit einem „ Danke!!!! “ mit vier Ausrufezeichen (Alisia wollte eigentlich zehn).
„ Und wo sollen wir das aufhängen? “ , frage ich dann.
„ Überall “ , bestimmt Alisia.
„ Aber nicht in unserem Viertel! “ , sage ich schnell. „ Meine Eltern müssen das nicht sehen. “
„ Wenn wir sie finden, erfahren sie es ja sowieso. “
„ Aber erst, wenn wir sie finden. Ich möchte nicht, dass sie jetzt schon etwas wissen. “
Alisia zuckt mit den Schultern. „ Von mir aus. Ist sowieso unwahrscheinlich, dass sie im selben Viertel wohnt wie ihr. Du hättest sie längst zufällig getroffen. “
„ Stimmt! “ Ich nicke erleichtert.
Mir wäre es ja am liebsten, Alisia würde die Plakate alleine aufhängen. Schließlich war es ihre Idee. Wie sieht das denn aus, wenn jemand ein Plakat aufhängt, auf dem er sich selbst sucht. Jeder wird denken, ich bin völlig verrückt. Aber Alisia schafft es einmal mehr, mich zu überreden. Ich setze eine Sonnenbrille auf, obwohl die Sonne gar nicht scheint, und klappe die Kapuze meines Sweatshirts hoch, wie es die Promis machen, die auf der Straße nicht von Fans erkannt werden wollen.
Natürlich schaffen wir nicht die ganze Stadt, aber immerhin verteilen wir zehn Plakate im Zentrum, drei im Komponistenviertel und zwei hängen wir an großen Straßenbahnhaltestellen auf. Die letzten beiden befestigen wir mit Reißnägeln an den schwarzen Brettern zweier großer Supermärkte. Schon gleich nachdem wir das erste Plakat aufgehängt haben, fangen wir an, auf das erste Handyklingeln zu warten. Aber unsere Telefone bleiben stumm.
Als wir alle Plakate los sind, trennen wir uns. Ich fahre mit einem sehr mulmigen Gefühl im Bauch nach Hause. Alisias Idee ist logisch und richtig und die Wahrscheinlichkeit, meine Schwester auf diese Art ausfindig zu machen, ist groß. Vorausgesetzt, sie wohnt noch in derselben Stadt, was man nicht so genau weiß. Und dennoch … irgendetwas an dieser Aktion ist mir nicht sympathisch.
In düstere Gedanken versunken biege ich in unsere Straße ein und pralle mit dem Vorderrad beinahe gegen Frau Rabusch, die gerade mehrere prall gefüllte Taschen über die Straße schleppt. Eine Vollbremsung rettet uns beide vor der tödlichen Kollision.
„ Meine Güte! “ , schnauft Frau Rabusch. Sie stellt die Taschen ab. Flaschen klappern. Frau Rabusch klappert beinahe mit den Zähnen. Ich parke mein Fahrrad und gehe zu ihr.
„ Entschuldigung “ , sage ich, obwohl ich eigentlich nicht schuld bin. Sie hat eindeutig nicht aufgepasst, ist einfach auf die Straße gehechtet.
Erstaunlicherweise macht sie mir gar keinen Vorwurf, sondern schüttelt nur den Kopf und reibt sich nur die Brust an der Stelle, an der sie wohl ihr Herz vermutet.
„ Eigentlich wollte ich nur zum Container “ , murmelt sie mit schwacher Stimme und deutet auf die prallen Tüten. „ Altglas wegbringen. “
„ Soll ich das für Sie machen? “ , biete ich an, bevor ich darüber nachgedacht habe.
„ Würdest du das tun? “ Frau Rabusch sieht mich so dankbar an, dass sie fast sympathisch wirkt.
Ich nicke. Große Lust habe ich nicht, aber bis zum Glascontainer ist es nicht weit, und Frau Rabusch sieht so aus, als würde sie jeden Moment umfallen. Also schließe ich mein Fahrrad an den nächstbesten Gartenzaun, nehme die Tüten und marschiere los. Zugegeben, ich bin auch ein bisschen neugierig darauf, welche Art Altglas sich in Frau Rabuschs Taschen verbirgt. Womöglich ist sie heimliche Alkoholikerin? Aber zwei Taschen voller leerer Schnapsflaschen hätte sie mir wohl nicht ohne Weiteres überlassen. Hm, es sein denn im Schockzustand …
Am Glascontainer angekommen stelle ich dann enttäuscht fest, dass die Fracht größtenteils aus langweiligen Gurken- und Apfelmusgläsern besteht. Nur zwei Weinflaschen sind darunter, und eine Flasche ohne Etikett, an der ich schnüffle, bevor ich sie in den Container fallen lasse. Sie riecht scharf und fruchtig und vielleicht entfernt nach Alkohol.
Die beiden leeren Plastiktüten falte ich ordentlich zusammen und trage sie dann zurück zur Beinahe-Unfall-Szene. Frau Rabusch ist verschwunden. Ich befreie mein Fahrrad und strample langsam die Straße hinunter bis zu ihrem Gartentor. Die Haustür steht weit offen, wahrscheinlich wartet
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