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Zwilling verzweifelt gesucht

Zwilling verzweifelt gesucht

Titel: Zwilling verzweifelt gesucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Obrecht
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frage ich sie ab, und als wir fertig sind, ist es schon fünf Uhr. Alisia muss immer um sechs zu Hause sein. Ihre Mutter ist da sehr streng. Aber für eine Kaufhausaktion brauchen wir mehr als eine Stunde. Außerdem ist Alisia nicht mehr bei der Sache. Sie murmelt ständig Uhrzeiten auf Englisch vor sich hin und rattert alle Vokabeln runter, die ihr noch einfallen. Mit ihr ist wohl erst wieder etwas anzufangen, wenn wir die Arbeit hinter uns haben.
    Als sie gegangen ist, wage ich mich zu meiner Mutter in den Garten, obwohl mir klar sein müsste, dass sie mir sofort eine lästige Aufgabe aufhalsen wird.
    „ Kannst du gleich mal im Salatbeet Unkraut zupfen? “ , kommt es prompt.
    Ich verdrehe die Augen, aber Mama sieht das nicht, weil sie konzentriert in der übel stinkenden Brennnesseljauche rührt.
    „ Und wenn ich nur mal ein bisschen Luft schnappen will? “
    „ Kannst du ja gerne. Und so ganz nebenbei zupfst du ein paar Winden und Löwenzahnpflänzchen aus dem Boden. Das merkst du gar nicht. “
    „ Ha, ha. “
    Mama wirft mir eine Kusshand zu. Muss ich eigentlich in dieser Familie für zwei arbeiten, bloß weil ich alleine bin? Ich werde das genau verfolgen.
    Mama hat sich die Haare mit einem lila Tuch zurückgebunden. Sie trägt ihr ältestes Kapuzensweatshirt und eine durchlöcherte Jeans. Es würde ihr bestimmt nicht gefallen, wenn man sie in diesem Aufzug fotografieren und das Foto dann vergrößert an alle Plakatwände der Stadt tackern würde.
    „ Was guckst du mich so an? “ , fragt Mama misstrauisch. „ Gefalle ich dir nicht? “
    Ich bücke mich schnell über das Salatbeet. Wie in aller Welt soll ich Salatpflänzchen von Unkraut unterscheiden? Vermutlich ist alles, was kräftig und gesund aussieht, das Unkraut. Mamas Pflanzen sehen in der Regel ziemlich kümmerlich aus.
    Mama hackt die Erde zwischen den Reihen. Eine schwarze Amsel landet ganz in der Nähe und reckt den Hals.
    „ Die wartet auf Regenwürmer “ , erklärt Mama und wischt sich mit dem Handrücken eine Dreckspur auf die Stirn.
    „ Bäh! Die armen Würmer. “
    „ Ja, schon. Aber Amseln singen schön. Schöner als Würmer. “
    „ Na und? Dafür kann der Wurm nichts. “
    „ Hast recht. Würmer muss es auch geben. “
    Sie fängt wieder an zu hacken. Plötzlich habe ich einen von diesen ganz dummen Gedanken. Obwohl ich das wirklich überhaupt nicht will, entsteht vor meinem inneren Auge ganz deutlich das Bild, nicht nur ein Bild, eine ganze Filmszene:
    Meine Mutter hackt immer tiefer, dann stutzt sie, bückt sich und hebt etwas auf, betrachtet es mit gerunzelter Stirn. Es ist ein Knochen. Sie legt ihn vorsichtig zur Seite, hackt weiter, ganz langsam, gräbt mit den Händen – da erscheinen winzige, dünne Rippen, ein faustgroßer Beckenknochen vielleicht … meine Mutter starrt auf die Knochen. Sie stößt einen gellenden Schrei aus … die Hacke fällt ihr aus der Hand …
    „ Bist du eingeschlafen? “ Meine Mutter stupst mich in den Rücken. Die Amsel fliegt zeternd auf und setzt sich auf die Dachrinne.
    „ Was? Nein. “
    Ich schüttle mich wie ein nasser Hund. Nein, das nicht – meine Zwillingsschwester liegt garantiert nicht hier in unserem Garten vergraben. Selbst wenn sie gestorben wäre und meine Eltern einen schlimmen Schock erlitten hätten – das hätten sie doch niemals getan!
    „ Was ist denn das? “ Meine Mutter bückt sich, hebt einen länglichen Gegenstand auf.
    „ Was denn? “
    Mein Herz schlägt so laut. Bin ich denn völlig verrückt geworden?
    „ Nur ein Knochen. “ Mama wirft ihren Fund achtlos zwischen die Brennnesseln.
    „ Was? “
    „ Ein Knochen. “
    „ Was für ein Knochen denn? “
    „ Ach, nur die Reste des Gerichtsvollziehers, der damals unsere Möbel pfänden wollte. “ Meine Mutter sieht mich prüfend an, schüttelt den Kopf. „ Hallo! Verstehst du keinen Spaß mehr? Das war irgendein Knochen, den die Hunde hier verbuddelt haben. “
    Ich bücke mich wieder und zupfe Unkraut.
    „ Halt! “ , schreit Mama. „ Das ist doch der Salat! “
    „ Ich mag sowieso keinen Salat “ , sage ich nur. Wir müssen beide gleichzeitig lachen. Aber meine Knie zittern trotzdem ein bisschen.

Ich habe mich nie gerne verkleidet, nicht mal an Fasching. Und auch jetzt ist es mir einfach nur peinlich, mir an einem Klamottenständer Kleider auszusuchen, die ich nie im Leben ernsthaft tragen würde. Also erledigt Alisia das für mich, während ich mich in der Umkleidekabine versteckt halte. Sie kennt

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