Zwillingsbrut
Obwohl es nicht danach aussah, dass Trace derzeit eine Freundin hatte, war er noch vor kurzem mit Jocelyn Wallis liiert gewesen, auch wenn er behauptete, es habe sich um nichts Ernstes gehandelt.
Wie nah hatten sich die beiden wirklich gestanden?, fragte sie sich jetzt.
»Das geht dich nichts an«, sagte sie laut, doch das hielt sie nicht davon ab, weiter an ihn zu denken. Seit ihrer Scheidung war sie mit niemandem mehr ausgegangen, hatte nach JC den Männern abgeschworen, zumindest für eine Weile. Trace O’Halleran, das spürte sie, könnte das ändern.
Binnen einer Sekunde.
Elle trat aufs Gas. Ihr Minivan schoss mit gerade noch erlaubter Höchstgeschwindigkeit über die dunkle Straße, aber sie machte sich keine Sorgen, auch wenn der Abend sehr früh hereingebrochen war. Sie war es gewohnt, »halsbrecherische« Bergstraßen zu fahren, seit sie sechzehn war; für sie war das keine große Sache. Ein schmaler Halbmond stand hoch am tintenblauen Himmel, Eiskristalle glitzerten im Licht ihrer Scheinwerfer auf dem Asphalt.
Durch die Windschutzscheibe blickte sie auf eine wahre Winterwunderlandschaft. Die Straße zog sich wie ein schwarzes Band durch die weiten schneebedeckten Felder, die sich immer wieder mit dichten Espen- und Kiefernwäldchen abwechselten. Die Äste der Bäume bogen sich unter der glitzernden Schneelast.
Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zeigte ihr, dass es schon fast halb elf war; sie war gut zwei Stunden später dran als geplant. Sie war ziemlich lange im Einkaufszentrum von Spokane geblieben, und dann hatte sie, um der guten alten Zeiten willen, auch noch einen Abstecher nach Coeur d’Alene gemacht, wo sie ein schnelles Abendessen zu sich genommen hatte. Was ein großer Fehler gewesen war. Zweifelsohne machte Tom sich langsam Sorgen. Sie würde ihn anrufen müssen.
Elle fischte ihr Handy aus dem Handschuhfach, doch noch bevor sie auf die Kurzwahltaste drücken konnte, kündigte sich eine Hustenattacke an. Schnell warf sie das Telefon auf den Beifahrersitz, wickelte eine Hustenpastille mit Kirschgeschmack aus und lutschte eifrig. Sie fühlte sich ein bisschen fiebrig, aber das würde sie vor Tom und den Kindern nicht zugeben.
Die Dinge mussten erledigt werden, und wenn sie es nicht tat – wer dann?
Zwischen Thanksgiving und Weihnachten hatte sie immer viel zu tun, und dieses Jahr, mit einem neuen Haus in einer neuen Umgebung, war der Druck besonders groß. Sie hatte vor, ihr Haus im Aspen Circle mit dem prächtigsten Weihnachtsschmuck der ganzen Stichstraße zu versehen.
Plötzlich flammten Scheinwerfer hinter ihr auf. Geblendet kniff sie die Augen zusammen. Ab und zu war ihr auf der um diese Zeit verwaisten Strecke ein Fahrzeug entgegengekommen, und auch im Rückspiegel hatte sie gelegentlich Scheinwerferlicht bemerkt, doch meist in großer Entfernung. Nun, zumindest war sie nicht ganz allein auf diesem einsamen Highway-Abschnitt.
Sie wünschte sich, sie wäre schon zurück bei Tom und den Kindern. Er hatte angeboten, auf die beiden aufzupassen, damit sie ihren überstürzten Ausflug nach Spokane machen konnte, um Weihnachtseinkäufe zu tätigen. Im Einkaufszentrum hatte sie einen herzallerliebsten Neuzugang für ihre Weinreben-Rentierherde gefunden: einen Rudolph mit rot blinkender Nase, der neben der kleinen Tanne im Vorgarten stehen sollte.
Er würde Rudolph I. mit seiner verblassenden Nase bei weitem übertreffen, und er war im Angebot gewesen: zwanzig Prozent Nachlass mit dem Coupon, den sie aus dem Lokalblatt ausgeschnitten hatte. Sie konnte es gar nicht abwarten, ihn zusammen mit dem Rest der Herde auf dem schneebedeckten Rasen aufzustellen. Hoffentlich würde ihr diesmal niemand einen Streich spielen! Im letzten Jahr hatten es einige Jugendliche aus der Nachbarschaft für witzig gehalten, Rudolph I. eine Rentierdame besteigen zu lassen.
Elle hatte das gar nicht komisch gefunden. Was für eine Geschmacklosigkeit! Ein paar dieser jungen Ganoven waren echte Schwachköpfe gewesen. Nun, vielleicht hatte der Umzug nach Grizzly Falls ja doch etwas Gutes.
Sie hustete wieder und wünschte sich, diese Antibiotika würden endlich Wirkung zeigen. Okay, sie nahm sie erst seit gestern, aber sie kämpfte jetzt schon so lange gegen diesen Mist an. Dennoch hätte sie kein Bazillus von der Tiefpreisschlacht an diesem Wochenende fernhalten können. Den Schwarzen Freitag und den Schwarzen Samstag hatte sie verpasst, aber am Schwarzen Sonntag – oder wie immer man diesen
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