Zwischen den Gezeiten
sie das Gefühl, unablässig ein Rufen zu hören, nicht mehr los. Tagsüber, während sie Papiere von einer Baracke zur anderen trug, redete sie sich ein, etwas Besseres vorzuhaben. Sie servierte dem Sergeant Tee, erfreute den Officer mit fehlerfreien Abschriften, fuhr auf der Fahrradstange eines Monteurs mit in die Stadt. Sie aà zwei Portionen von Eriks Kohlrabi-Sauce, spielte drei Runden Canasta. Erst als es dunkel wurde, zerbrach ihr Widerstand, sie belog die Eltern, nahm heimlich die Tasche aus dem Schrank und verlieà das Haus durch den Garten. Sie trug das gebügelte Kleid, Mutters rote Sandalen, das Haar lieà sie offen.
Als sie die Kneipe erreichte, hatte sie Blasen an den FüÃen. Engländer und Deutsche saÃen bunt gemischt. Inga übersah die miÃtrauische Miene des Wirtes, vorbei an den lärmenden Gästen betrat
sie ein Zimmer, das hinter der Schänke verborgen lag. Ãberrascht nahm der dicke Major die Brille ab; Inga begrüÃte ihn unbefangen, bemerkte das Glas in seiner Hand, die Flaschen auf dem Beistelltisch. Ohne Zögern goà sie sich ein. Wenig später öffnete sich die Tür zum Klo, die Generalin, in Kopftuch und Mantel, hatte den Weg über den Hinterhof genommen; der Leutnant begleitete sie. Er sah verwildert aus, wie auf dem Sprung, er und Inga begrüÃten einander wie Fremde. In dem engen Raum gab es kein Ausweichen, mutwillig stellte sie ihre Tasche auf den Tisch.
Gabor kam als letzter. »Inga!« Er freute sich ehrlich. »Endlich ist jemand dabei, der das nötige Kapital besitzt«, sagte er mit Seitenblick auf den Leutnant, goà sich ein und nahm gegenüber Platz.
Inga versuchte sich ihn in Uniform vorzustellen, im Feld, als Vertrauten des Generals. Unterschiedlicher als Gabor und Alec konnte kaum jemand sein. Glattrasiert der eine, in bester Verfassung, jede Gelegenheit zu seinem Vorteil zu nützen. Der andere ernüchtert, Ausweglosigkeit trieb ihn an den Spieltisch. Das Haar war ungepflegt, fiel es ihm ins Gesicht, reichten die Spitzen fast bis zum Kinn. Selbst die Jetons aus seiner Schatulle kamen Inga abgenützt vor, die Farben verblichen.
Der Major schlug Deer vor, Inga wechselte Geld. Auf aberwitzige Weise genoà sie es, nicht willkommen zu sein; die Anfeindung machte sie mutig. Gleich zu Beginn spielte sie scharf, setzte kämpferisch, doch bald fiel ihr auf, wie schleppend die Anfangspartien verliefen. Der Leutnant spielte versteinert, sah niemanden an, wollte mit niedrigem Blatt punkten und scheiterte. Ein Blick auf sein Futteral, und Inga begriff, er hasardierte ohne Kapital. Nach einer Stunde lag kein Jeton mehr vor ihm. Er schob das Kartenpaket zum Major und schloà den Uniformknopf. Im Moment, als er aufstand, bat die Generalin Alec um eine Unterredung. Er wollte ablehnen, sie bestand darauf, gemeinsam gingen sie hinaus. Es wurde weitergespielt, doch alle warteten auf die Rückkehr. Inga lieà sich von Gabor nachschenken.
Die Generalin kam zuerst und setzte sich steif. Verfallen, wie
Inga ihn nie gesehen hatte, preÃte der Leutnant ein Lächeln hervor, sprach von Frühdienst und daà ihm die Karten heute nicht schmeichelten. Er nahm das leere Futteral, schloà die Lasche und griff zur Krücke. Die übrigen wünschten gute Nacht, taten, als sei es eine gewöhnliche Verabschiedung, keine Kapitulation. Die Generalin hob den Blick, ihr Kopftuch war in den Nacken gerutscht. â Inga hielt im Mischen inne. Der blasse Mann, die Dame, die ihn liebevoll ansah â Herz oder Pik? â, sie wandte den Kopf ab und sortierte Jetons. Er setzte die Kappe auf, nahm nicht den Weg über den Hinterhof, sondern verschwand in der Kneipe.
Während Inga die Karten verteilte, bemerkte sie jene hämische Neugier in Gabors Blick, die ihr öfter schon aufgefallen war. Wäre er ihr nicht auf der StraÃe begegnet, säÃe sie nun bei den Eltern und spielte Canasta, wo es um nichts ging, als den Abend verstreichen zu lassen. Der Mai begann prachtvoll, überall Pärchen zu zweit auf einem Fahrrad, die Automobile fuhren mit Holzgas, weil der schwarze Markt sonst nichts hergab. Die Engländer kontrollierten nicht mehr so genau, es war, als buhlten die Besatzer um die Gunst der Besetzten. Das Ausscheiden der Russen aus dem Viererrat brachte Erleichterung, Deutschland lag richtig, es wurde zur neuen Grenze nach Osten. Einen hatte Inga sagen gehört: Wenn die Amerikaner
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