Zwischen den Gezeiten
Inga verschränkte die Arme auf dem Rücken. Seine beängstigende Ruhe, gebückt stand er an den Türrahmen gelehnt; erst jetzt fiel ihr auf, er hatte die Krücke vergessen. Sie stemmte die Hand in die Hüfte, hob den Busen, er warf keinen Blick darauf. Drehte sich langsam, wie in Gedanken, den Lärmenden zu und verlagerte das Gewicht; er taumelte, lieà die Tür los und hinkte in den rauchigen Raum zurück. Einer rempelte ihn an, Hayden suchte Halt, immer kleiner wurde der Ausschnitt, den die Tür freilieÃ. Ein Blick des Negers,
das Plakat einer Flasche, der Leutnant erreichte den Tresen. Die Tür schloà sich vollends. Inga stand im Dunkeln, sie hatte die Hand noch in die Hüfte gestemmt.
Die Firma lag im Osten, keine groÃe Entfernung, bloà muÃte man zuerst sinnlos am Fluà entlang, um die nächste Brücke zu erreichen. Inga zog die Schuhe aus, machte einen Knoten in den Rock und schob ihn bis zur Hüfte hoch. Die Kälte des Wassers traf sie wie ein Schlag, sie fürchtete Scherben und spitze Steine, erreichte aber unbeschadet die Mitte. Ein Schritt weiter, und sie sackte in ein Loch, versank bis zurTaille; um nicht zu fallen, machte sie Schwimmbewegungen, dabei muÃte sie die Schuhe eintauchen. Triefend erreichte sie das Ufer, versuchte den Rock auszuwringen, rieb sich zitternd Schenkel und Waden. Das Leder war klamm, dennoch zwängte sie sich in die Schuhe, hoffte, beim Gehen würde ihr warm.
Als Henning ihr damals die Firma zeigte, waren sie im Auto gefahren  â Inga hatte den Weg unterschätzt, fror bald erbärmlich, die Zähne schlugen aufeinander, sie hatte einen säuerlichen Geschmack vom Gin im Mund. Der Mond kam hervor, wenige Häuser, nur Weiden. Sie erschrak über eine Bewegung â gleichzeitig hatten die Kühe den Kopf gehoben.
Sie erreichte die Firma von der Einfahrt her, unmöglich, durchs Tor zu spazieren, wahrscheinlich war Trude bei ihm. Inga lief übers Feld, umkreiste die Halle, kam zu dem Berg aus Holzabfällen, sank in den regendurchweichten Spänen ein. Das Büro war ein niedriger Trakt, dort brannte Licht, sie hoffte, in dem dunklen Kleid nicht gesehen zu werden. Dennoch schlich sie gebückt, ging unterm Fenster in die Hocke, die Augen erhoben, ihre Nase berührte das Fensterbrett.
Aufgeschlagene Ordner, zwei Tassen, ein Stück Brot, von den Hängelampen brannte nur eine. Henning kam ins Büro, blieb unter dem Lichtkegel stehen, trocknete seine Hände, legte das Handtuch über die Lehne, zog einen Ordner heran und setzte sich. Er
addierte von Hand, der Bleistift sprang von Posten zu Posten, seine Lippen bewegten sich stumm, er notierte, vertraute dem Ergebnis nicht und rechnete ein zweites Mal. Inga kam höher und sah ihm bei seinen Kolonnen zu. Der Rechnende dort, sie im Freien, wäre ihr nicht eiskalt gewesen, sie hätte die ganze Nacht so verbracht. Plötzlich entdeckte er sie, staunend wie ein Kind, dem man Theater vorspielt. Sie machte ein Zeichen, ob es ungefährlich sei, er stürzte vorwärts, stieà mit der Hüfte gegen den Schreibtisch und öffnete das Fenster.
»Was soll das!« Er schaute rechts und links, als fürchte er, sie sei in Begleitung gekommen.
»Trude?« fragte Inga.
»Dein Kleid?« gab er zur Antwort. Sie erzählte vom FluÃ.
»Vollkommen verrückt.« Unter den Achseln hob er sie an, sie gelangte aufs Fensterbrett.
»Wir trocknen das.« Er lief zum Ofen, wo alles zum Anzünden bereit war. »Der zieht gut. Gleich wird es warm.« Henning hielt ein Streichholz daran; als er sich umdrehte, stand Inga in Unterwäsche vor ihm. Er nahm das Kleid entgegen, wrang es aus, Tropfen vermischten sich mit dem Staub des Bodens.
»Ich habe bloà nichts für dich â« Er drehte sich suchend im Kreis, griff sein Sakko vom Haken und hängte es ihr um die Schultern. Inga drängte in seinen Arm, er schob die Jacke zurecht, ihre Zutraulichkeit erschreckte ihn. »Was hättest du getan, wenn Trude da gewesen wäre?«
Heimgelaufen, log Inga, er löste sich, öffnete die Ofenklappe, eine helle Flamme, er stocherte mit dem Haken. Als sie erneut näher kam, schob er das Türchen zu und suchte die feuchteste Stelle an ihrem Kleid. Statt es auf den Stuhl zu hängen, warf er es über die Schulter, ging zum Fenster und machte eine Bemerkung über den Mond. Barfuà kam Inga hinterher,
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