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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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nachgedacht, daß ein Blick hinter Glas dem Betrachter eine bestimmte Ansicht eröffnete; legte sich nun aber eine Spiegelung darauf, eine Ansicht vor dem Glas, welcher Anblick war jetzt der Richtige, der davor oder jener dahinter  – oder gab die Mischung das richtige Bild? Gabor, der Kartenspieler, der Schieber, der besorgte, was kein anderer bekam – und der Mann, der sonst einen bauschigen Mantel trug –, beide Bilder legten sich übereinander, wurden scharf und ergaben eine tiefere Ansicht.
    Inga hatte nicht bemerkt, daß August weitergegangen war, mit hastigen Schritten erreichte sie den schützenden Eingang.
    Â»Wohin geht die Fracht?« Sie zeigte zum Wagen.
    Â»Westen«, antwortete er, und auf ihren fragenden Blick: »Es gibt wieder Leute, die nach deutschem Krempel verrückt sind.« Das Auge wanderte zu denen beim Wagen. »Sie hätten die Madonna gerne mitgenommen.«
    Bevor Gabor sich umdrehte, überschritt Inga die Schwelle. August führte sie ins Büro; im Dämmerlicht war die Statue nirgends zu entdecken.
    Sie zog das Kuvert aus der Tasche. »Das ist für den Anfang.« Sie schob es über den Tisch.
    Â»Inga, ich bin keine Bank.« Das Auge wirkte mit einem Mal betrübt.
    Â»Ich bringe dir jeden Monat –« Sie hatte die Summe noch nicht errechnet, nannte eine Zahl aufs Geratewohl.
    Â»Und meine Sicherheiten?« Er öffnete den Umschlag nicht.
    Â»Ich bin deine Sicherheit. Du kennst mich seit ewig, August, kannst du mir nicht vertrauen?«
    Schritte im Korridor, überrascht ging das Auge mit, als Inga im Durchgang zum nächsten Zimmer verschwand.
    Â»Keiner soll wissen, daß ich hier bin.« Sie tat scheu, aufgeregt
und war nicht mehr zu sehen. Jemand trat ein, Inga hörte, wie ein Gegenstand verrückt wurde, zu zweit hoben sie etwas an und trugen es aus dem Zimmer.
    Â»Laß den Kinderkram.«
    Während Inga wieder hervorkam, riß August den Umschlag auf und zählte das Geld. »Komm wieder, wenn du den Rest hast.« In seiner Hand wirkte das Bündel noch unscheinbarer.
    Â»Und die Statue?«
    Düster glitt das Auge an ihr von unten nach oben.
    Â»Marianne zuliebe.« Er öffnete die Schreibtischtür und hob die Figur behutsam hervor. »Aber das sage ich dir, wenn ich meinem Geld hinterherlaufen muß –« Kopfschüttelnd über die eigene Gutherzigkeit, schob er ihr die Madonna zu.
    Â»Machen wir nichts Schriftliches?«
    Â»Geh schon.«
    Inga hatte die Reisetasche zur Hand, ließ die Statue darin verschwinden; zuletzt sah man nur noch den Kopf des Christuskindes. Sie hörte das Starten und Schnarren des Dieselmotors, der Laster drehte auf dem Hof um.
    Â»Läßt du mich gleich hier hinaus?«
    August zog den Schlüsselbund. »Als du klein warst, gab es mit dir nie solchen Ärger.« Er verpaßte ihr eine Kopfnuß und schloß auf.

16
    D er Fahrtwind tat in der Mittagshitze wohl, neben ihr und gegenüber redeten sie auf Inga ein, übertönten den Motorlärm. Was für eine Krankheit das gewesen sei, Inga habe ihnen gefehlt, was sie am Wochenende mache. Der Transport rollte durch die Landschaft und ließ einen staubigen Schleier zurück. Brombeerranken überwucherten die gerissene Panzerkette, Dotterblumen blühten den Bachlauf entlang, Samen von Löwenzahn hingen in der Luft. Nachdenklich hielt Inga das Gesicht in den Wind, fragte sich, wieso ihr Geschick sie nicht freute.
    Ihr hättet nur besser zu suchen brauchen! Mit diesen Worten war sie vom Speicher gekommen, die Madonna wie eine Trophäe erhoben. In der Kiste war sie, wo Papa den Wein versteckte. Während Inga weiterlog, wunderte sie sich, daß die Eltern keinerlei Einwand hatten, keine Frage stellten, nichts in Zweifel zogen; bei aller Erleichterung blieben ihre Augen ernst. Marianne nahm die Statue in Empfang, prüfte sie auf Beschädigungen, beinahe wäre das Zepter zu Boden gefallen. Was wollt ihr nun damit machen? fragte Inga harmlos. Ohne zu antworten waren die Eltern ins Zimmer gegangen, vor dem Fenster hatte der Wind in die Krone der Kastanie gegriffen.
    Die Schranke hob sich, lange bevor der Laster den Posten passierte, sie fuhren ins Lager. Aus dem Augenwinkel bemerkte Inga die Gefängnisbaracke – ob der junge Flieger noch einsaß, wie viele Tage blieben ihm? Der Bau lag abseits, von morgens bis abends prallte die Sonne aufs Dach. Mit

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