Zwischen den Gezeiten
fragte sie. »So möchte ich nicht unter die Leute.«
»Schon dich noch«, sagte der Vater enttäuscht. »Wir reden später.«
»Erik!« Marianne trat erschrocken zurück, er fuhr herum, nun sah auch Inga, ein breiter Streifen Blut quoll hinter Vaters Ohr hervor und tropfte auf seine Schulter.
»Du hast dich auf dem Speicher gestoÃen.«
Er faÃte an die Stelle, hielt sich den blutigen Finger vors Gesicht. »Ich habe es nicht bemerkt«, antwortete er mit verwirrtem Lächeln.
»Zieh das Hemd aus.« Bevor sie ging, ergriff Marianne die Klinke und schloà vor Inga die Tür. Das Handtuch sank, nackt stand sie vor dem Spiegel.
15
A ls ob man einen Bottich Wasser über ein schmutziges Fenster kippt, dachte Inga im Gleichklang der Schritte. Heraus aus dem Gestrüpp der Unwahrheiten, Verlockungen, Ãngste, klar und durchschaubar sollte alles sein. Die Eltern glaubten nicht an Diebstahl, bloà eine Unbedachtheit, nahmen sie an, ein dummer Streich. Auch Henning sah keine Betrügerin in Inga, ein Augenblick der Begehrlichkeit, sie hatte nur dem Impuls nachgegeben. Der Pferdedoktor kannte sie, seit sie im weiÃen Röckchen auf dem Wallach geritten war und geweint hatte, weil ihr Kleid schmutzig geworden war. Er würde auf Rückzahlung bestehen, vorenthalten durfte er ihr die Madonna nicht.
Inga durcheilte gewohnte StraÃen, das Geld trug sie in einem Umschlag bei sich, äuÃeres Zeichen, es gehörte ihr nicht, sie verwaltete es nur. Es war weniger als sie für die Statue bekommen hatte, doch August akzeptierte die Anzahlung bestimmt. Vielleicht durfte sie bei den Pferden arbeiten, brachte ihm auÃerdem monatlich etwas von ihrem Gehalt. Jetzt, wo Erik Rente bekam, brauchte sie daheim nicht mehr alles abzuliefern. Die Dinge nicht im Geheimen lassen â Ingas Plan der Wiedergutmachung erfüllte sie mit gespannter Zufriedenheit.
Sie eilte an den Scheiben des alten Cafés vorbei, die waren erst vor Tagen eingesetzt worden. Seit Kriegsende hatten die Leute ihren Kaffee bei offenen Fenstern getrunken, während der Ãbergangszeit in Hut und Mantel, im Winter waren die Ãffnungen vernagelt gewesen. Laufend betrachtete Inga sich im hohen Glas.
Marianne, die selbst keine Schminke benützte, hatte ihr eine alte Paste gegeben, das Make-up war vertrocknet, bröselte beim Auftragen, und doch gefiel Inga sich heute, das Gespenst aus dem Badezimmerspiegel war verschwunden. Die Lippen rot, ein schmaler Strich an den Brauen, all ihre Vorzüge muÃte sie zur Geltung bringen, wollte sie August überzeugen.
An der Einfahrt zum Pferdehof stand ein Laster, Männer luden Möbelstücke auf, eine furnierte Truhe, zwei mit Säulen und Perlmutt verzierte Schränke, ein Tisch mit schlangenhaft emporgedrehtem FuÃ.
Räumte August sein Lager, durchfuhr es sie, war die geschnitzte Madonna darunter, hatte man sie bereits abgeholt? Mit einer Kommode drängten Packer an Inga vorbei, einer sprang auf den Laster und zog, der andere schob das schwere Möbel ins Innere: ein mittelgroÃer Kerl mit kühlen Augen, die Brauen buschig, heller als das krause Haar, die Nase platt und ungleichmäÃig, wie von unzähligen Prügeleien. Sie hielt die Luft an, ohne den Mantel hatte sie ihn nicht gleich erkannt â Alecs Gläubiger, der Peiniger des Leutnants auf dem Pferdehof. Sie wandte sich ab, strebte unauffällig zum Stall.
August behandelte eine offene Wunde am Hals der Stute. Als Inga neben ihn trat, fuhr sein Kopf herum, auf der blinden Seite hatte er sie nicht kommen sehen.
»Schleichst du dich an?« Das Auge lächelte.
»Ich muà dich sprechen.«
»Mistviecher.« Mit einem Lappen wischte er Blut aus der Wunde. »Die Bremsen haben sie ganz zerbissen.« Aus der Hosentasche kam eine Tube zum Vorschein, vorsichtig salbte er die offene Stelle.
»Hast du die Statue â ?« Ihr Blick ging zum Laster.
»Wenn ich verspreche, ich hebe sie für dich auf, hebe ich sie auch auf.« Er schloà die Tube, stemmte die Faust gegen die Stirn der Stute, die rückwärts setzte und sich in der Box einschlieÃen lieÃ. Sie gingen über den Hof, Inga hielt sich dicht neben August â plötzlich
blieb sie stehen. Wenige Meter vom Laster entfernt, im hellen Anzug, die Autoschlüssel am Finger, kam Gabor um die Ecke und trat zu dem Mann mit der Nase.
Schon manchmal hatte Inga darüber
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