Zwischen den Gezeiten
und bià den Faden ab. »Du nimmst mir das Licht.« Während es wieder zu knattern begann, betrachtete Inga ihre Fingernägel; zum Tippen hielt sie sie kurz, doch heute hatte sie Lust, sie anzumalen.
»Der Eintritt ist frei. Jeder kann kommen, solange es Plätze gibt.« Marianne justierte den Faden und legte die nächste Stoffbahn bereit.
»Wie kommt ihr hin?« fragte Inga über den Lärm der Maschine hinweg.
»Henning holt uns mit dem Wagen ab. Hat er dich nicht eingeladen?«
»Ich weià noch nicht, ob ich von der Arbeit wegkann«, überging Inga die Frage.
Marianne beendete die letzte Naht, zog den Sicherheitshebel herunter, die Nadel verschwand in der Vertiefung. Als sie aufstand, bemerkte Inga, wie betrübt ihre Mutter aussah, Falten um den Mund, müde Schultern â nichts Mädchenhaftes in dem kleinen Gesicht.
»Ist etwas los?«
»Gar nichts. Nur die Hitze unterm Dach.« Sie lächelte mit ernsten Augen. »Papa hat das erste Gemüse aus dem Garten geholt, er macht gerade die Sauce.« Sie warf die Stola über die Schulter und stülpte das Holzgehäuse auf die Maschine. »Das lassen wir uns schmecken.« Vorsichtig nahm sie die Stufen und verschwand im Ankleidezimmer. Inga wollte rufen, wo das blaue Kleid sei, statt dessen schaute sie auf ihre Nägel und stellte sich eine Farbe vor.
18
D er Abstand zwischen Trittbrett und Erdboden war hoch, Erik reichte Marianne die Hand, mit der anderen stützte sie sich auf seine Schulter. Er hob sie vom Karren, ihr Haar streifte den Rand seiner Brille. Nachlässig band er den Lederriemen um die Sprosse, ohne Zwang würde der Esel keinen weiteren Schritt tun; ein räudiges Tier mit schlaffen Ohren, Erik hatte ihn und das Gefährt vom Nachbarn geborgt. Mit schlierenden Achsen waren sie durch die Stadt geholpert, und doch hatte Marianne die Fahrt genossen, als gehe es in der Kutsche einher. An Eriks Arm überquerte sie den Hof, wich Pferdeäpfeln aus, das dünnere Bein brauchte ein wenig länger, um jeden Schritt auszuführen. Wiehern aus den Boxen, die Pferde wollten den schäbigen Eselsbesucher nicht dulden.
Erik und Marianne wurden vom Pferdedoktor begrüÃt. »Es ist lange her.« Unwillkürlich richtete er das Auge auf den Jutesack in Eriks Hand. Lächelnd akzeptierte Marianne den Vortritt, den die Männer ihr lieÃen.
»Wir muÃten häufig zum Bauern«, erklärte sie.
August führte die beiden ins Büro, goà etwas Braunes in drei Gläser, sie stieÃen an. Die Rede kam darauf, daà die britischen Kontrollen zwar nachlässiger wurden, der Markt aber immer weniger abwarf.
»Wohin verschwindet bloà alles?« fragte der Vater.
»Man sagt, es hat mit dem Geld zu tun.« Marianne setzte sich.
»Wenn ich an die Zeiten denke â« August trank sein Glas in einem Zug leer. »Da ging man durchs Rautjes-Viertel und brauchte
bloà die Ohren aufzusperren. Fohlennerz, hörte man einen sagen oder Grüne Kaffeebohnen  â Prima Briketts, zwanzig Stück  â , nur so zwischen den Lippen hervorgemurmelt. Jeder schien mit sich selbst zu reden.« August setzte sich in den Drehstuhl. »Damals habe ich eine Ladung Ferkel im Kinderwagen in die Stadt geschleust, geschlachtet wurde in der Badewanne. Die Engländer machten Razzia, haben aber bloà nach Waffen gesucht.«
»Alles hinterm Wehr im Mühlenfluà versenkt«, sagte Erik.
»Die Tommies!« August lachte mit geschlossenem Auge. »Einen Säbel von siebzigeinundsiebzig brachten sie zutage, einen rostigen Vorderlader und GroÃvaters Kosakenschwert!« Er beugte sich über den Tisch. »Und daneben trug einer fünf Kilo bestes Schweinefleisch im Rucksack davon â sie habens nicht gemerkt!«
»Das mit dem Geld verstehe ich nicht«, hakte Marianne nach. »WeiÃt du etwas darüber?«
»Gerüchte.« Das Auge schweifte zur Decke. »In Frankfurt wird politisiert, Wichtigtuerei, wenn ihr mich fragt.« Er senkte den Blick auf den Jutesack, der Zeitpunkt war gekommen, daà Erik die geschnitzte Madonna hervorholte.
»Aber das ist ja â« Der Pferdedoktor hob verwundert die Hände.
»Unser bestes Stück«, sagte Marianne. »Vierzehntes Jahrhundert«, fuhr sie fort, als der andere schwieg. »Die Maria ist aus Eibenholz, das Jesuskind soll Zeder sein.« Obwohl sie die
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