Zwischen den Gezeiten
schob die FüÃe unter das Kissen. War es bei Frau Seidler so ähnlich gewesen? Hatte die verschreckte Frau in jener Nacht, als die Meute vor ihr Haus kam, in Wirklichkeit nicht Ingas Vater gesehen, sondern irgend jemand? War ihr Vater einer, den man gerne verwechselte, erinnerte man sich seiner leicht, weil er ein Bild für das Ganze abgab? Der richtige Typ, groÃ, überlegen, markant â man brauchte solche wie ihn, um der Zeit ein Gesicht zu geben. Nun hatten die Engländer seine Bilder und Embleme gefunden, Eriks unrühmliche Nostalgie brachte ihn zum zweiten Mal in Gefahr. Vater und Tochter im Gefängnis, Marianne allein zu Hause, die Rente unhaltbar â das Morgengrauen überraschte Inga mit der Klarheit, daà das Schicksal ihrer Familie den Krieg erklärt hatte.
Die Streife kam früher als erwartet, sie bat um eine Minute sich anzuziehen. Zu Fuà durchquerten sie das Lager, die frühe Stunde ersparte ihr den SpieÃrutenlauf, vorbei an den neugierigen Soldatengesichtern. Ingas Erleichterung, daà ihr väterlicher Chef das Verhör leitete, wich der Erkenntnis, in ihm von nun an einen anderen vor sich zu haben. Während der Befragung hatte sie stehen zu bleiben, Militärpolizei an der Tür, ein Jurist im Captainsrang als Beisitzer, gläsern und unpersönlich eröffnete der Kommandant die Prozedur. Er wirkte verschlafen, unrasiert, trug die Hose der Ausgehuniform, das Kurzarmhemd war schlampig gebügelt. Inga betrachtete die Bootsphotographie und den schwarzen Tresor. Die füllige Schreibkraft muÃte aus der Stadt geholt worden sein. Der Tag begann strahlend, zwei Stunden vielleicht, dann würde die Baracke erneut zum Schwitzkasten.
Zum ersten Mal seit seiner Verletzung band der Leutnant die Krawatte. Vorsichtig hob er den Kopf, es schmerzte, die Narbe begann beim Kinn und lief über den Hals bis zur Brust. Vor den Handspiegel gebeugt, den ein früherer Patient vergessen hatte, bemühte er sich, nicht sein Gesicht, nur den Sitz der Krawatte zu mustern. Er sagte der Schwester, er gehe aus, sie fragte, ob er zu Mittag zurück sei, er kündigte an, im Casino zu essen. Während er sich dem sonnendurchstrahlten Ausgang näherte, zog er den Kopf zwischen die Schultern. Er überquerte Terrasse und Wiese, wählte den Weg unter den Föhren; an der Gabelung des Sandweges blieb er stehen.
Wir sollten Inga mitspielen lassen  â er brauchte einige Sekunden, auf den Ursprung des Satzes zu kommen. Wir sollten Inga mitspielen lassen. Hatte Gabor es nicht gesagt, während er ihr einen Stapel Jetons zuschob? Und wenn ich verliere? â Dann bist du in meiner Schuld. Gabor, der Tausendsassa, dem es gefiel, daà Menschen in seiner Schuld standen. Der Leutnant betrachtete die schmale Piste, die zum Casino führte, rechts verbreiterte sich der Weg, Nachschub, Telefonzentrale, Tankstelle, dahinter die offene Schneise.
Er lenkte den Schritt ins Freie, wich der flimmernden Hitze aus, Sträucher spendeten spärlichen Schatten. Du hast sie bestimmt längst vergiftet, hatte Marion am selben Abend gesagt. Kopfschüttelnd erinnerte er sich, wie Inga zur ersten Unterrichtsstunde gekommen war; mit erhitzten Wangen hatte sie gespielt und verloren, gespielt und gewonnen. Sie stellte Fragen, schaute ihm in die Karten, teilte aus und hob ab; er hatte den Hunger in ihr geweckt, Appetit auf den Nervenkitzel, der das Besondere im Leben versprach. Der Leutnant schaute voraus, â ohne Licht war Gabors Wagen die Rollbahn entlanggefahren, in der Sandbucht hatten sie gehalten, das Schlagen der Türen, Marion, im weiÃen Kostüm, war als erste in die Baracke getreten.
Alec erreichte die Wetterstation, ihn kümmerte nicht, ob sie ihn vom Camp aus beobachteten. Er fand die Tür angelehnt, ein Stein
lag davor, er schob ihn beiseite, öffnete, alles schien unberührt. Er wischte den Schweià vom Gesicht, schloà die Tür hinter sich und gewöhnte die Augen ans Dämmerlicht. Danach begann er zu suchen.
30
E rik trat gebückt vor die Tochter, als biete der Raum nicht die Höhe, aufrecht zu stehen. Das gestempelte Formular hing in seiner Hand, der Militärpolizist prüfte es, setzte sich und zog den Helmriemen unterm Kinn zurecht.
»Ihr ist nicht gut«, sagte der Vater. »Sie wollte mitkommen, dann hat sie sich hingelegt.« Der Staub auf den Schuhen bestätigte Inga, er war zu Fuà ins Lager
Weitere Kostenlose Bücher