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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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Hand, vorsichtig, als suche er etwas, tastete er über Ingas Hinterkopf.
    Â»Deine Spange«, sagte er. »Die mit dem Perlmutt, vermißt du sie nicht?«
    Sie hob den Blick. »Du hast sie?«
    Â»Seit langem.« Er drehte ihr Haar zu einem Knoten zusammen. »Bevor ich fahre, will ich daran denken, sie dir wiederzugeben.«
    Die Stationsschwester konnte noch nicht aus der Frühstückspause zurück sein, die Schritte stammten von jemand anderem. Männerstimmen draußen, Inga löste sich, dort stand eine Silhouette mit Helm. Der Mann nannte Ingas vollständigen Namen – es genierte sie, daß Alec ihren zweiten Vornamen erfuhr. Ein weiterer Militärpolizist kam dazu, die Arme auf dem Rücken verschränkt,
erklärte er, sie müsse mitkommen. Der Leutnant fragte die Polizisten nach dem Grund. Zum Verhör, antwortete der erste, der Grund sei ihm nicht bekannt. Inga warf einen Blick zurück, noch konnte sie durch das Schwesternzimmer entkommen. Alec wollte erfahren, wer die Befragung veranlaßt habe. Der zweite MP nannte den Dienstgrad des Leutnants mit übertriebener Höflichkeit und antwortete, das gehe ihn nichts an; er dürfe die Verhaftung nicht behindern.
    Dumpf fiel ein Föhrenzapfen aufs Dach. Verhaftung. Neben dem Bodenlosen, das Inga empfand, spürte sie eine seltsame Befreiung  – eine Verhaftete brauchte weder zu kämpfen noch zu bangen, der Schnitt, der sie von den übrigen trennte, war vollzogen. Sie prüfte, ob alle Blusenknöpfe geschlossen waren, ging am Leutnant vorbei zu den MPs, die vor und hinter ihr Aufstellung nahmen. Zu Alec gewandt, zuckte Inga die Achseln und trat in die Hitze. Im Gänsemarsch überquerten sie die Terrasse, gewohnheitsmäßig hob sie die Füße im tiefen Gras, dabei war es trocken wie Stroh. Beim erhobenen Schlagbaum rauchte der Waliser, der ihr viele Male die Schranke geöffnet hatte; unwillkürlich fuhr er herum, als er sie zwischen der ungewöhnlichen Eskorte erkannte. Über den Sandweg ging es zur Kommandobaracke. Während Inga eintrat, nahmen die beiden draußen Haltung an, als hätten sie die Verhaftete im selben Moment vergessen.
    Nicht der Commander empfing sie, ans Fenster gelehnt wartete der Sergeant darauf, daß die Durchsuchung von Ingas Büroseite abgeschlossen wurde. Er sah sie schweigend an, es war ein Schweigen, das ihr Angst machen sollte; dabei lag die Angst längst um sie wie ein Mantel. Er schien nicht überrascht, als die Suche ergebnislos blieb, und gab Anweisung für den Wagen. Unter Bewachung ging es wieder hinaus, vor ihnen hielt dasselbe Fahrzeug, das morgens betankt worden war. Obwohl der Fahrer Inga erkannte, behielt er sein Staunen für sich. Man wies ihr den hinteren Platz zu, zwei MPs drängten sich rechts und links daneben, mit zurechtgerücktem Barett schwang sich der Sergeant auf die Beifahrerseite.
An der Föhre ging es hart in die Kurve, sie rasten über den Sandweg, ein Schlagloch katapultierte Inga hoch, zwei Arme hielten sie fest. Ohne ihre Lage zu vergessen, gefiel es ihr, das Camp so zu verlassen, wie sonst nur die Offiziere; verwundert hielt der Waliser die Eisenstange in Schwebe.
    Rundum schwankte das Sommergras, die Pappeln blinkten, die rostige Panzerkette war endlich von den Brombeerranken verschluckt worden. Inga kannte die hellrosa Blumen, die längs des Wassers auftauchten, nicht beim Namen. Schneller als sonst rückte die Stadt näher, es huschten die Gassen vorbei, die sie täglich zu Fuß durchquerte – mit einem gewaltigen Satz war das Elternhaus da. Der Fahrer hielt so hart, daß alle nach vorne geworfen wurden. Der Sergeant suchte umsonst nach der Klingel, Inga stieg als letzte aus und öffnete die Gartenpforte. Sie wünschte ihnen den Schreck zu ersparen und rief Mutters Namen zum Fenster hoch. Der Sergeant verbat jeden Sprechkontakt, eine Hand packte Ingas Arm von hinten. Ihr Blick ging zum Nachbarfenster – zwei Gestalten, vier neugierige Augen.
    Stiefelgepolter, sie kamen um die Ecke, wo früher die Pendeluhr gestanden hatte; Erik und Marianne saßen am Tisch, Sonnenlicht brach sich im Wasserkrug. Der Sergeant nahm breitbeinig Aufstellung, wollte die gewohnte Respektlosigkeit an den Tag legen, da erhob sich Ingas Vater – überrascht beobachtete der Unteroffizier, wie der Menschenturm vor ihm höher und höher wurde. Aus welchem Grund Erik daheim statt

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