Zwischen den Sternen
nicht geahnt, dass ein solches Talent in euch schlummert.«
»Die Obin kennen keine eigenen Geschichten«, sagte Hickory. »Wir haben so etwas erst durch dich kennengelernt, als du wolltest, dass wir dir welche vorlesen.«
Einen Moment lang war ich verdutzt, doch dann erinnerte ich mich. In jüngeren Jahren hatte ich Hickory und Dickory gebeten, mir Gutenachtgeschichten vorzulesen. Das Experiment war ein Fehlschlag gewesen, um es vorsichtig auszudrücken. Selbst mit eingeschalteten Bewusstseinsgeneratoren hätte keiner der beiden eine Geschichte erzählen können, wenn es um ihr Leben gegangen wäre. Die Betonungen waren völlig falsch - sie wussten einfach nicht, wie sie die Gefühlsebene einer Geschichte rüberbringen sollten. Sie konnten die einzelnen Worte völlig korrekt vorlesen. Aber sie konnten eben keine Geschichte erzählen.
»Also habt ihr seitdem noch andere Geschichten gelesen«, sagte ich.
»Manchmal«, gestand Hickory. »Märchen und Mythen. Am meisten interessieren uns Mythen, weil es darin um Götter und Schöpfung geht. Dickory und ich haben beschlossen, einen Schöpfungsmythos für die Obin zu schaffen, damit wir endlich eine eigene Geschichte haben.«
»Und diese Geschichte würdet ihr mir erzählen.«
»Wenn du glaubst, dass sie dich aufheitern würde.«
»Ist es ein fröhlicher Schöpfungsmythos?«, fragte ich.
»Für uns ja«, sagte Hickory. »Zumindest sollte dir klar sein, dass auch du eine Rolle darin spielst.«
»Wenn das so ist«, sagte ich, »will ich sie unbedingt hören.«
Hickory besprach sich kurz mit Dickory in ihrer eigenen Sprache. »Wir werden dir die Kurzfassung erzählen«, sagte Hickory schließlich.
»Es gibt auch eine lange Fassung? Jetzt bin ich richtig neugierig geworden.«
»Der Shuttleflug dauert nicht lange genug, um die vollständige Fassung zu erzählen«, sagte Hickory. »Dazu müssten wir noch einmal nach Phoenix zurückfliegen. Vielleicht sogar ein drittes Mal.«
»Dann bleiben wir lieber bei der Kurzfassung«, sagte ich.
»Also gut«, sagte Hickory und begann: »Es war einmal …«
»Ist das euer Ernst?«, sagte ich. » Es war einmal ?«
»Gibt es ein Problem mit Es war einmal ?«, fragte Hickory. »Viele eurer Geschichten und Mythen fangen so an. Wir hielten diese Wendung für völlig angemessen.«
»Damit gibt es überhaupt kein Problem. Es klingt nur etwas altmodisch.«
»Wir könnten das ändern, wenn du möchtest.«
»O nein«, sagte ich. »Tut mir leid, dass ich dich unterbrochen habe, Hickory. Bitte fang noch einmal an.«
»Also gut«, sagte Hickory. »Es war einmal …«
Es war einmal ein Volk von Wesen, die auf dem Mond eines großen Gasplaneten lebten. Und diese Wesen hatten keinen Namen. Sie wussten nicht einmal, dass sie auf einem Mond lebten, geschweige denn, dass dieser Mond um einen Gasplaneten kreiste oder was ein Planet war. Im Grunde stand es so schlecht um ihr Wissen, dass man eigentlich gar nicht behaupten konnte, dass sie irgendetwas wussten. Es waren Tiere, und sie hatten kein Bewusstsein, sie wurden geboren, sie lebten und sie starben, und ihr ganzes Leben lang hatten sie keine Gedanken und wussten nicht einmal, was Gedanken waren.
Eines Tages - obwohl diese Tiere überhaupt keine Vorstellung von Tagen hatten - kamen Besucher zum Mond, der um den Gasplaneten kreiste. Diese Besucher waren als Consu bekannt, auch wenn die Tiere auf dem Mond nichts davon wussten, denn so nannten sich die Consu selbst, und die Tiere waren nicht intelligent genug, um die Consu zu fragen, warum sie sich so nannten, geschweige denn, warum Dinge überhaupt Namen hatten.
Die Consu kamen zu diesem Mond, um ihn zu erkunden, und dabei beobachteten sie alles, was es auf diesem Mond gab, von der Luft im Himmel bis zur Gestalt des Landes und der Wasserflächen und den unterschiedlichsten Lebensformen, die das Land, die Luft und das Wasser des Mondes bevölkerten. Und als sie die zuvor erwähnten Wesen beobachteten, die auf diesem Mond lebten, wurden die Consu neugierig und wollten alles über sie wissen, wie sie geboren wurden, wie sie lebten und wie sie starben.
Nachdem die Consu diese Wesen eine Zeit lang beobachtet hatten, entschieden die Consu, dass sie diese Wesen verändern wollten. Sie wollten ihnen etwas geben, das die Consu hatten, die Wesen aber nicht, und das war Intelligenz. Also veränderten die Consu die Gene dieser Wesen, damit ihre Gehirne so wuchsen, dass sie mehr Intelligenz hervorbrachten, als durch Erfahrung oder nach vielen
Weitere Kostenlose Bücher