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Zwischen den Sternen

Titel: Zwischen den Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
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den Grabstein gravieren, bevor er schließlich erfuhr, dass ich doch noch unter den Lebenden weile.
    Also gibt es auf diesem Friedhof drei Namen, zwei Leichen und ein Grab. Der einzige Ort im ganzen Universum, von dem man behaupten kann, dass sich dort meine biologische Familie befindet.
    In gewisser Weise bin ich ein Waisenkind, und zwar gründlich. Meine Mutter und mein Vater waren Einzelkinder, und ihre Eltern lebten schon nicht mehr, als ich geboren wurde. Es ist möglich, dass ich Cousins oder Cousinen zweiten Grades irgendwo auf Phoenix habe, aber ich bin ihnen nie begegnet und wüsste auch nicht, was ich zu ihnen sagen sollte, falls sie tatsächlich existieren. Was könnte man in einer solchen Situation sagen? »Hallo, etwa vier Prozent unserer Gene sind identisch - wollen wir nicht Freunde sein?«
    Also sieht es so aus, dass ich die letzte Vertreterin meiner Linie bin, das letzte noch lebende Mitglied der Familie Boutin, bis ich mich entscheide, Kinder zur Welt zu bringen - falls ich mich dazu entscheiden sollte. Aber das wäre eine Überlegung wert … später.
    In gewisser Weise bin ich ein Waisenkind. Aber in anderer Hinsicht...
    Nun ja. Zum einen stand mein Vater hinter mir und beobachtete mich, wie ich vor dem Grabstein kniete und mir meinen Namen ansah. Ich weiß nicht, wie es anderen Adoptivkindern geht, aber für mich gab es mit John und Jane keinen einzigen Moment, in dem ich mich nicht geachtet, geliebt und als ihr Kind gefühlt hatte. Selbst als ich die frühe Pubertätsphase durchmachte, in der ich wahrscheinlich sechsmal täglich und am Sonntag zehnmal »Ich hasse euch!« und »Lasst
mich endlich in Ruhe!« sagte. Ich jedenfalls weiß genau, dass ich mich an der nächsten Bushaltestelle ausgesetzt hätte.
    John hat mir erzählt, dass er auf der Erde einen Sohn hatte, und dieser Sohn hatte einen Jungen namens Adam, der ungefähr in meinem Alter sein dürfte, womit ich theoretisch Tante wäre. Das fand ich ziemlich cool. Es war fast ein Zaubertrick, wenn man eben noch gar keine Familie hatte und im nächsten Moment die Tante von jemandem war. Das sagte ich auch zu Vater, worauf er erwiderte: »Du enthältst Vielheiten.« Danach lief er stundenlang mit einem Lächeln herum. Schließlich konnte ich ihn dazu bringen, es mir zu erklären. Dieser Walt Whitman wusste wirklich, wovon er redete.
    Zum Zweiten waren Hickory und Dickory dabei und zitterten vor emotionaler Energie, weil sie am Grab meines Vaters standen, obwohl mein Vater hier gar nicht wirklich begraben war. Aber das spielte keine Rolle. Es ging um das, was das Grab repräsentierte. Durch meinen Vater war ich vermutlich so etwas wie ein Adoptivkind der Obin, auch wenn meine Beziehung zu ihnen gar nichts Familiäres hatte. Es war eher wie das Verhältnis zu einer Gottheit. Ich war die Göttin eines gesamten Volkes.
    Zumindest etwas Ähnliches. Vielleicht sollte ich es weniger egozentrisch ausdrücken: Schutzpatronin, Volksidol, Maskottchen oder etwas in dieser Richtung. Es war schwer in Worte zu fassen. An den meisten Tagen fiel es mir sogar schwer, es überhaupt zu begreifen. Es war ja nicht so, dass man mich auf einen Thron gesetzt hatte. Die meisten Götter und Göttinnen, von denen ich gehört hatte, mussten keine Hausaufgaben machen und Hundescheiße aufsammeln. Wenn das alltägliche Leben eines Idols so aussieht, ist es nicht besonders aufregend.

    Aber dann denke ich daran, dass Hickory und Dickory ihr ganzes Leben an meiner Seite verbringen, weil ihre Regierung es von meiner Regierung gefordert hat, als beide einen Friedensvertrag aushandelten. Ob Sie es glauben oder nicht: Ich bin eine Vertragsklausel, die zwischen zwei intelligenten Spezies vereinbart wurde. Wie soll man mit so einem Schicksal umgehen? Einmal habe ich versucht, es auszunutzen. Als ich noch jünger war, versuchte ich Jane davon zu überzeugen, dass mir erlaubt sein sollte, abends länger aufzubleiben, weil ich laut Friedensvertrag einen Sonderstatus hatte. Dieses Argument hielt ich für ziemlich clever. Janes Antwort bestand darin, den gesamten tausendseitigen Wälzer anzuschleppen - ich wusste gar nicht, dass wir eine materielle Kopie davon hatten - und mich aufzufordern, ihr den Passus zu zeigen, in dem stand, dass mir jeder Wunsch erfüllt werden musste. Ich stapfte zu Hickory und Dickory und verlangte von ihnen, dass sie meine Mutter aufforderten, mir meinen Willen zu lassen. Hickory sagte mir, ich müsste zuerst einen Antrag an seine Regierung stellen, dessen

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