Zwischen den Sternen
Bearbeitung sicher einige Tage benötigen würde, und bis dahin hätte ich sowieso irgendwann zu Bett gehen müssen. Das war das erste Mal, dass ich die Tyrannei der Bürokratie am eigenen Leib zu spüren bekam.
Aber ich weiß sehr wohl, dass es bedeutet, dass ich den Obin gehöre. Selbst in jenem Augenblick vor dem Grabstein zeichneten Hickory und Dickory alles mit ihren Bewusstseinsgeneratoren auf, die mein Vater für sie konstruiert hatte. Die Daten wurden gespeichert und an alle anderen Obin weitergeleitet. Schließlich würde jeder Obin bei mir sein, während ich vor meinem Grab und dem meiner Eltern kniete und ihre Namen und meinen mit dem Finger nachzog.
Ich bin nicht allein. Ich gehöre zu John und Jane. Ich gehöre zu Hickory und Dickory und jedem anderen Obin. Und dennoch, trotz der engen Bindungen, die ich habe und die ich spüre, gibt es Momente, in denen ich mich einsam fühle. Dann kommt es mir vor, als würde ich dahintreiben und mit nichts verbunden sein. Vielleicht ist das so in diesem Alter, dass man sich ab und zu von allem entfremdet fühlt. Vielleicht muss man sich gelegentlich isolieren, um sich selbst finden zu können. Vielleicht macht jeder so etwas durch.
Ich wusste nur, dass ich dort am Grab, an meinem Grab, einen solchen Moment durchmachte.
Ich war schon zuvor an diesem Grab gewesen. Zum ersten Mal, als meine Mutter beerdigt wurde, und dann einige Jahre später, als Jane mich hierherbrachte, damit ich mich von meinen Eltern verabschieden konnte. Alle Menschen, die mich gekannt haben, sind nicht mehr da , hatte ich zu ihr gesagt. Alle meine Menschen sind gestorben . Dann kam sie zu mir und fragte mich, ob ich mit ihr und John zusammenleben wollte, an einem neuen Ort. Sie fragte mich, ob sie und John meine neue Familie sein durften.
Ich berührte den Jadeelefanten, den ich um den Hals trug, und lächelte, während ich an Jane dachte.
Wer bin ich? Wer ist meine Familie? Zu wem gehöre ich? Fragen, die sich leicht oder gar nicht beantworten lassen. Ich gehöre zu meiner Familie und zu den Obin und manchmal zu überhaupt niemandem. Ich bin eine Tochter und eine Göttin und ein Mädchen, das manchmal nicht weiß, wer sie ist oder was sie will. Mein Gehirn rackert sich mit diesen Gedanken ab und macht mir Kopfschmerzen. Ich wünschte, ich wäre allein hier. Ich bin froh, dass John bei mir ist. Ich will
meine neue Freundin Gretchen sehen und mit ihr sarkastische Bemerkungen austauschen, bis wir beide losprusten. Ich will in meine Kabine in der Magellan gehen, das Licht ausschalten, meinen Hund an mich drücken und weinen. Ich will von diesem blöden Friedhof weg. Ich will ihn nie mehr verlassen, weil ich weiß, dass ich nie mehr hierher zurückkommen werde. Dies ist das letzte Mal, dass ich bei meiner Familie bin, bei denen, die nicht mehr da sind.
Manchmal weiß ich nicht, ob mein Leben kompliziert ist oder ob ich nur über zu viele Dinge nachdenke.
Ich kniete vor dem Grab, dachte noch eine Weile nach und überlegte, wie ich mich von meiner Mutter und meinem Vater verabschieden konnte und wie ich sie bei mir behalten konnte, wie ich bleiben und gehen konnte, wie ich Tochter und Göttin und Mädchen, das nicht weiß, was sie will, sein konnte, alles gleichzeitig, und wie ich zu allen gehören und allein sein konnte.
Es dauerte ziemlich lange.
8
»Du siehst traurig aus«, stellte Hickory fest, als wir mit dem Shuttle zur Phoenix-Station zurückflogen. Dickory saß neben Hickory und war so schweigsam wie immer.
»Ich bin traurig«, sagte ich. »Meine Eltern fehlen mir sehr.« Ich blickte zu John hinüber, der vorn beim Shuttlepiloten Lieutenant Cloud saß. »Und ich glaube, das viele Gehen, Verlassen und Umziehen geht mir etwas an die Substanz. Tut mir leid.«
»Eine Entschuldigung ist überflüssig«, sagte Hickory. »Diese Reise ist auch für uns recht stressreich.«
»Ah, gut«, sagte ich und drehte mich zu den beiden um. »Elend liebt Gesellschaft.«
»Wenn du möchtest, würden wir gern versuchen, dich aufzumuntern«, sagte Hickory.
»Wirklich?« Das war eine ganz neue Taktik. »Wie würdet ihr das machen?«
»Wir könnten dir eine Geschichte erzählen«, sagte Hickory.
»Was für eine Geschichte?«
»Eine, an der Dickory und ich schon seit längerem arbeiten«, erklärte Hickory.
»Ihr habt etwas geschrieben ?« Ich gab mir keine Mühe, meine Überraschung aus meinem Tonfall herauszuhalten.
»Ist das sehr erstaunlich?«, fragte Hickory.
»Absolut«, sagte ich. »Ich habe
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