Zwischen den Sternen
tun?«
»Ich finde es nett, dass du dich für ihn einsetzt«, sagte ich. »Aber wenn er sich darüber lustig macht, dass du Gedichte für mich schreibst, muss ich ihm dafür leider in den Arsch treten.«
Enzo grinste. »Du oder deine Leibwächter?«
»Ach, mit ihm werde ich auch selber fertig. Obwohl ich vielleicht Gretchen zur Unterstützung mitnehmen werde.«
»Ich glaube, dazu wäre sie bereit«, sagte Enzo.
»Für diese Aufgabe ist keine Denkfähigkeit vonnöten.«
»Dann werde ich mich lieber darauf beschränken, weitere Gedichte für dich zu schreiben«, sagte Enzo.
»Gut.« Ich tätschelte seine Wange. »Es freut mich, dass wir uns so gut verstehen.«
Und Enzo hielt Wort. Jeden Tag bekam ich gleich mehrere Gedichte von ihm. Die meisten waren nett und witzig und nur ein wenig angeberisch, weil er sich in den unterschiedlichsten lyrischen Gattungen versuchte: Haikus, Sonette, Sestinen und andere Formen, von denen ich nicht wusste, wie sie hießen, denen man aber ansah, dass sie eine bestimmte Struktur hatten.
Natürlich zeigte ich alle Gretchen, die sich große Mühe gab, nicht beeindruckt zu wirken. »Sein Interesse lässt nach«, sagte
sie zu einem Gedicht, das ich ihr während eines Völkerballspiels zeigte. Savitri hatte dienstfrei und war ebenfalls dabei. »Dafür würde ich ihm den Laufpass geben.«
»Es lässt nicht nach«, sagte ich. »Außerdem ist er nicht mein Lover.«
»Der Typ schickt dir jede Stunde ein Gedicht, und du sagst, er wäre nicht dein Lover?«, fragte Gretchen.
»Wenn er ihr Lover wäre, würde er ihr keine Gedichte mehr schicken«, gab Savitri zu bedenken.
Gretchen schlug sich auf die Stirn. »Natürlich! Jetzt ergibt alles Sinn.«
»Gib mir meinen PDA zurück«, sagte ich und nahm ihn ihr aus der Hand. »Du Zynikerin.«
»Das sagst du nur, weil dir niemand Sestinen schickt«, entgegnete Savitri.
»Die lustlos geschrieben sind«, sagte Gretchen.
»Still, alle beide!« Ich drehte meinen PDA herum, damit ich das Spiel aufzeichnen konnte. Enzos Mannschaft trat im Viertelfinale gegen die Dragons an. »Während ihr Gift spuckt, bekomme ich gar nicht mehr mit, wie Enzo draußen auf dem Schlachtfeld niedergemacht wird.«
»Apropos Zynikerin«, sagte Gretchen.
Es war ein lautes Pock zu hören, als der Völkerball Enzos Gesicht nachhaltig in eine nicht sehr ansehnliche Form brachte. Er hielt sich mit beiden Händen den Kopf, fluchte laut und fiel auf die Knie.
»Ja!«, rief ich.
»Der arme Junge«, sagte Savitri.
»Er wird es überleben«, sagte Gretchen und wandte sich an mich. »Hast du die Szene?«
»Sie wird auf jeden Fall das neue Highlight meiner Sammlung«, sagte ich.
»Ich glaube, ich habe schon einmal erwähnt, dass du ihn gar nicht verdient hast«, sagte Gretchen.
»Hallo?«, sagte ich. »Er schreibt mir Gedichte, und ich dokumentiere seine sportlichen Schwächen. Das ist das Grundprinzip, nach dem jede Beziehung funktioniert.«
»Hast du nicht gerade gesagt, dass er nicht dein Lover ist?«, fragte Savitri.
»Er ist nicht mein Lover«, bestätigte ich und fügte die demütigende Szene in meine »Enzo«-Datei ein. »Aber das heißt nicht, dass wir keine Beziehung hätten.« Ich steckte den PDA ein und begrüßte Enzo, als er zu uns kam.
»Hast du es aufgenommen?«, fragte er mich, während er sich immer noch das Gesicht hielt. Ich drehte mich um und sah Gretchen und Savitri lächelnd an, als wollte ich Seht ihr?! sagen. Beide verdrehten nur die Augen.
Insgesamt verging etwa eine Woche zwischen dem Abflug der Magellan von der Phoenix-Station und der Ankunft in einem Bereich, der weit genug von größeren Schwerkraftsenken entfernt war, um den Skip nach Roanoke einleiten zu können. Ein großer Teil dieser Zeit wurde vom Völkerballturnier, vom Großen Musikkrieg, von Gesprächen mit meinen neuen Freunden und von der Dokumentation der Schmerzen Enzos eingenommen. Doch zwischendurch fand ich tatsächlich ein wenig Zeit, etwas über die Welt zu lernen, auf der wir den Rest unseres Lebens verbringen würden.
Einiges wusste ich bereits: Roanoke war ein Planet der
Klasse sechs, was bedeutet (hier beziehe ich mich auf das Protokolldokument des Ministeriums für Kolonisation der Kolonialen Union, das Sie mit Ihrem eigenen PDA abrufen können), dass der Planet maximal um fünfzehn Prozent von der Standardgravitation, atmosphärischen Zusammensetzung, Temperatur und Rotationsdauer der Erde abweicht, aber die Biosphäre nicht mit der menschlichen Biologie kompatibel
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