Zwischen den Zeilen
keine Lösung gefunden. Ich will diesen Test. Ich will ihm so nah sein, wie er sich das wünscht… weil ich es mir genauso wünsche, es mir ernst ist und ich ihn liebe. Und ich will ihn nicht immer und immer weiter belügen… Vielleicht kommt er klar damit… vielleicht aber auch nicht…
»Ich muss es ihm sagen.« Ich starre durch die Windschutzscheibe in die Nacht über Hamburg, die langsam dem Morgen weicht. Meine Hände umklammern das matte Aluminium des Kaffeebechers und die Worte auszusprechen, fällt mir unheimlich schwer.
»Ja, das musst du«, entgegnet Daniel ruhig.
»Er will, dass wir einen HIV-Test machen… zusammen. Und ich will es auch, aber ich… ich kann das Formular nicht ausfüllen und… Scheiße, ich… hab keine Ahnung, wie ich's ihm sagen soll…« Ich bin keine Zehn mehr, wenn ich es ihm sage. Auch keine Neuneinhalb. Also wird er weitersuchen, nach dem Richtigen. Und ich hab keine Ahnung, wie ich das überleben soll…
»Vielleicht solltest du ihm einfach sagen, wie es dazu gekommen ist«, schlägt Daniel vor.
»Hm.« Ich nicke. Auch wenn ich finde, dass mein wie es nicht besser macht. Es gibt vermutlich Menschen da draußen, deren Schicksal schlimmer ist.
Es gibt viele Kinder, die ihre Eltern verlieren. Die meisten können trotzdem lesen. Diese Sache mit meiner Mutter ist keine Entschuldigung.
»Nur Mut, Ben!« Vermutlich soll es ein Aufmuntern sein. Aber es hat den gegenteiligen Effekt.
»Lass es einfach«, bitte ich ihn tonlos und versuche anzukommen gegen diesen Kloß in meinem Magen. Diesen Klumpen aus meiner Vergangenheit, der so schwer darin liegt. Immer schon… und dann spaziert er einfach in diese dämliche Kirche und sieht mich an mit diesem Lächeln und…
Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll, wenn er wieder aus meinem Leben verschwindet. Noch einmal überlebt mein Herz das nicht. Ich liebe Josh und ich will nicht, dass er von mir denkt, ich sei ein Idiot. In den er sich nur aus Versehen verliebt hat. Auf der Suche nach einer Zehn…
Schlechte Party
Josh
»Also bis dann. Wir sehen uns später«, verabschiedet sich Julie und nimmt ihre Jacke.
»Später?«, frage ich abwesend, ohne wirklich von meinem Bildschirm aufzusehen. Die Uhr unten in der Ecke des Monitors zeigt drei Minuten vor fünf.
Den ganzen Tag konnte es mir nicht schnell genug gehen hier rauszukommen, aber grade läuft es ganz gut. Ich schätze, ich mache das hier eben noch fertig.
»After-Work-Party bei Seibeck?«, erinnert Julie mich mit fragendem Unterton.
»Oh, Shit. Ist das heute?« Entgeistert sehe ich sie über den Monitor hinweg an. Hab ich total vergessen. Mist!
»Schon.« Julie nickt.
»Ich dachte, das wäre nächste Woche.« Verdammt, ausgerechnet heute, wo ich möglichst schnell zu Ben wollte.
Ich hasse diese After-Work-Partys, auf denen man sowieso nur die Zeit absitzt, bis der Erste sich traut abzuhauen und man sich überaus dankbar kollektiv anschließt. Sie sind eine Seuche, denn wenn man ehrlich ist, hat man eigentlich keinen Bock darauf, seine Kollegen auch noch nach der Arbeit zu treffen.
Leider sind solche Treffen in gezwungen lockerem Ambiente in der Branche immer noch ziemlich hip. Beinahe jede Woche ist eine aus nichtigem Anlass und vermutlich findet dieser ganze Scheiß nur deswegen statt, damit man sich selbst und den Kollegen demonstrieren kann, was für ein großer Workaholic man für den Hungerlohn, den sie einem am Ende zahlen, doch ist. Insgeheim halte ich es darüber hinaus auch für eine grenzgeniale Taktik, Überstunden zu provozieren. Denn wer um alles in der Welt geht bitte schön pünktlich zu einer Party? Und vorher noch mal nach Hause zu gehen, lohnt sich nicht. Ich brauche von hier knapp zwanzig Minuten. Zu Ben sogar ein bisschen länger. Und am liebsten würde ich einfach eine doofe Ausrede erfinden, verschwinden und den Abend mit ihm verbringen.
Dummerweise ist Seibeck allerdings einer derjenigen, die bei der Vergabe interner Stellen ein Wörtchen mitzureden haben. Da ist, wenn ich es noch in diesem Leben in die Sportredaktion schaffen will, also Schleimen angesagt. Hochschlafen geht ja jetzt, da ich einen Freund habe, nicht mehr. Und wäre bei Heten-Seibeck auch ziemlich sinnlos. Außerdem hab ich schon die letzte Party zugunsten von phänomenalem Sex abgesagt. Ich fürchte, Wegbleiben ist dieses Mal keine echte Option.
Vermutlich sollte ich Ben anrufen und ihm sagen, dass es heute später wird. Ist auch ein guter Vorwand, ihn
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