Zwischen den Zeilen
jemanden.
»Ist aber nicht dringend, kann auch morgen sein.«
»Quatsch, wir schauen gleich nach, wenn wir zurück sind«, sagt Daniel eifrig. Was diese Sache mit mir und Lesen angeht, greift er nach jedem Strohhalm.
Ich weiß nicht mehr, wie oft er mir in den letzten Jahren damit in den Ohren gelegen hat. Vor Felix, nach Felix, während Felix. Eigentlich immer. Und ich hab's abgeblockt. Meistens jedenfalls. Na ja, ehrlich gesagt eigentlich auch immer. Und oft tat's mir hinterher leid. Nicht selten haben wir uns am Ende gestritten. Weil ich nicht wollte, dass er sich einmischt, obwohl er vermutlich jedes Recht dazu hat.
Ich meine, er lebt mein Leben für mich, jedenfalls einen gewissen Teil davon. Und ich hab mich, so erniedrigend das auch ist, einfach dran gewöhnt, manche Dinge eben nicht zu können, ohne dass er mir hilft. Ich schätze, im Alltag merke ich es nicht mehr. Ich verdränge es einfach, solange ich zurechtkomme, und jedes Mal, wenn Daniel mir dann mit seinen bescheuerten Kursen kommt, ist es ein bisschen so, als würde er mir meine eigene Dummheit vor Augen halten. Meine Unfähigkeit zu schaffen, was alle anderen irgendwie hinbekommen haben. Nur ich eben nicht...
»Gleich ist vielleicht nicht so eine gute Idee«, erkläre ich. »Er schläft noch und ich will nicht, dass er es mitbekommt.«
»Denkst du nicht, es wäre besser, es ihm zu sagen?«
»Nein«, entgegne ich entschieden. »Wir sind grade erst zusammen.« Ich klinge schüchterner dabei, als ich geplant hatte. Denn eigentlich ist es ein schönes Gefühl. Aber an die Sache, dass ich wieder einen Freund hab, muss ich mich noch ein bisschen gewöhnen. Und dieses Mal will ich nicht, dass es so endet wie damals. Weil ich irgendwie glaube, dass Josh sich besser anfühlt als Felix. Und damit meine ich nicht den Sex. Ich meine das davor… und das danach… dieses warme, nahe Gefühl, das da ist, wenn er neben mir liegt und seine Zigarette raucht. Wenn er lacht… wenn er mich ansieht… verlegen mit dem Ring in seiner Lippe spielt und ich ihn dabei so hübsch finde, dass ich vermutlich auch dann keine Worte dafür hätte, wenn ich wäre wie alle anderen. Aber ich hab sie nicht. Also halte ich ihn einfach fest.
Ich kann mich nicht mehr so richtig dran erinnern, wie es mit Felix war, als wir frisch verliebt waren. Es ist einfach zurückgetreten hinter die Katastrophe, in der es geendet hat. Der Erniedrigung, der Scham und dem beschissenen Gefühl, dass ich dann wohl nicht gut genug für ihn bin. Obwohl ich mich so sehr bemüht hatte, es zu sein.
Es ist anstrengend, eine Beziehung zu führen, denn je näher man jemanden an sich heranlässt, desto mehr läuft man Gefahr, irgendwann aufzufliegen. In irgendeiner banalen Situation des Alltags, über die man nicht weiter nachdenkt.
»Schreibst du mir eben noch Eier auf den Einkaufszettel, bitte?«, höre ich Felix aus dem Bad. Es ist lange her, aber ich hab's nicht vergessen.
»Klar«, höre ich mich und ich weiß noch, wie es sich angefühlt hat, dass meine Stimme dabei nicht gezittert hat.
Ich hab den Eierkarton aus dem Kühlschrank geholt, in der Hoffnung, dass noch genug fürs Sonntagsfrühstück drin sind. Aber es war nur noch eines. Also hab ich den Karton geschlossen und ihn angestarrt. In der Hoffnung, dass ich irgendwas davon abschreiben kann. Aber es standen zu viele Dinge drauf.
»Alles klar?« Seine Hand auf meiner Schulter wog tonnenschwer.
»Klar«, hab ich erwidert, versucht, die Panik, die mich in diesem Moment überkam, runterzuschlucken und nach dem Stift gegriffen. Ich hab einen Schwanz gemalt auf den Einkaufszettel. Mit Eiern. Sehr kreativ.
»Was ist das denn?«, hat er amüsiert gefragt.
»Deine Eier«, hab ich unschuldig gemurmelt und ihn an mich gezogen.
»Du bist echt verdorben. Aber weißt du, genau deswegen steh ich auf dich«, hat er gemeint und gelacht. Aber mir war, wie so oft, eher zum Heulen zumute. Noch mal ertrag ich das nicht...
»Können wir auf dem Rückweg beim Bäcker halten und Brötchen besorgen?«, versuche ich gegen das schale Gefühl der Erinnerung anzukommen und das Thema zu wechseln.
»Klar, kein Problem.« Daniel nickt. »Aber ich finde trotzdem, du solltest es ihm sagen.«
»Lieber nicht«, entgegne ich und sehe aus dem Fenster.
»Ben, Legasthenie ist heute ein anerkanntes Handicap. Und ich bin sicher, dass es für Josh kein Problem ist, wenn er dich gern hat.«
Toll, jetzt kommt wieder die Nummer, dass ich trotzdem intelligent bin.
»Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher