Zwischen den Zeilen
diese Katastrophe, miteinander auszugehen, unbedingt noch mal wiederholen sollten. Sollten wir nicht. Definitiv nicht.
Folglich meine ich, wenn ich an den scharfen Typen von Natis Hochzeit denke, nicht Arno, sondern Ben. Die Zehn mit den Blumen. Und da sein Laden, den ich Nati ja schon am Abend der Hochzeit aus dem Korsett geleiert hab, auch nur am anderen Ende der Stadt liegt, dachte ich, ich könne spontan mal vorbeischauen.
Der Laden ist an einer Ecke auf der Hauptverkehrsstraße in Pöseldorf. Ist eigentlich ganz nett da. Trotzdem verirre ich mich höchst selten in diese Gegend. Blattgold steht in schnörkelloser Schrift oben über der schwarzen Markise, die aussieht, als habe sie irgendwer mit goldener Farbe bekleckst.
Vor dem erhöhten Schaufenster stehen Zinkeimer in unterschiedlichen Größen mit blühenden Blumen auf dem Asphalt. Daneben gibt es einen Tisch, der aussieht, als sei er aus alten Brettern und Strandgut gezimmert und beinahe ein bisschen so wirkt, als würde er jeden Moment unter der üppigen Blumenpracht zusammenbrechen. Rechts und links davon stehen Buchsbäume, die meiner Mutter aufgrund der perfekt rund geschnittenen Krone Tränen der Rührung in die Augen treiben würden, und die Poller am Gehsteig sind mit Rosen dekoriert.
Unentschlossen bleibe ich vor dem Eingang stehen und beschließe dann, erst mal am Laden vorbeizugehen. Super! Dafür bin ich eigentlich nicht durch die halbe Stadt gefahren. Vielleicht sollte ich mir ein bisschen Mut anrauchen. Nervös fummle ich in der hinteren Tasche meiner Jeans nach meinen Zigaretten.
Eigentlich wollte ich schon längst aufhören, aber dummerweise kommt immer irgendwas dazwischen. Und womöglich ist es auch nicht so toll, wenn ich nach frischem Qualm stinkend in seinem Laden auftauche. Raucher stehen ja nicht bei allen hoch im Kurs. Also vielleicht lieber doch nicht. Ich geh da jetzt einfach rein, bevor ich weiter drüber nachdenken kann und mein leeres Feuerzeug sich gnädigerweise zu einem Funken hinreißen lässt. Ist ja gar nicht gesagt, dass er überhaupt da ist.
Vielleicht hätte ich mein Piercing doch besser rausnehmen sollen. Bei unserer ersten Begegnung hatte ich es nicht drin, weil ich es eigentlich nie trage, wenn ich Gefahr laufe, auf meine Mutter zu treffen. Ich hab keine Lust, mir jedes Mal anzuhören, wie fürchterlich entstellend sie das findet, und die Diskussion, ob Typen beim Blowjob drauf stehen, ist keine, bei der ich das Bedürfnis verspüre, sie mit meiner Mutter zu führen. Piercings und meine Mutter ist ein echt schlechtes Thema. Deswegen weiß sie auch nicht, dass auch meine Brustwarzen gepierct sind, und ich eine Zeit lang sogar eines im Septum getragen hab. Ich glaube, wenn sie es wüsste, würde sie mich, wohl vor allem für letzteres, definitiv enterben. Gott sei Dank konnte ich diese Überbleibsel meiner Timo-Phase bisher erfolgreich vor ihr verheimlichen.
Timo war wohl das, was man meine erste große Liebe nennt. Er hatte auch Piercings. So ziemlich überall und ich stand irgendwie drauf. Die Zunge hab ich mir ziemlich schnell machen lassen, die Brustwarzen, als wir ein Jahr zusammen waren. Und nach der Testphase stand ich deutlich zu sehr drauf, wenn man an ihnen rummacht, als dass ich sie rausgenommen hätte, nachdem es mit Timo kurze Zeit später vorbei war.
Stattdessen hab ich mir die Unterlippe piercen lassen. Und dann das Septum. Aber das hatte ich nur kurz drin, denn das sah, objektiv betrachtet, dann wirklich scheiße aus. Das Labret mag ich und eigentlich findet auch jeder, dass es mir steht. Eigene Mütter zählen nicht. Die haben bei so was keine objektive Meinung.
Keine leichte Entscheidung, die Sache mit der Zigarette, denn jetzt, wo ich dran gedacht hab, hab ich natürlich wahnsinnig Bock drauf. Vielleicht sollte ich sie mir später gönnen und erst mal reingehen, statt weiter wie ein Depp vor dieser Hofeinfahrt zu stehen und mein Feuerzeug zu verfluchen.
Ein Hupen reißt mich aus meinen Gedanken. Es ist ein Lieferwagen, ebenfalls mit Blattgold -Schriftzug und goldenen Farbklecksen, dem ich offensichtlich im Weg stehe. Artig trete ich einen Schritt zur Seite und er fährt in Schrittgeschwindigkeit an mir vorbei. Inhaber Daniel Haug und Gerd Wilkens , lese ich. Okay, anscheinend ist Ben wenigstens nicht der Chef.
Immer noch nervös betrete ich den Laden. Der Verkaufsraum ist größer, als ich erwartet hab. Nicht, dass ich Erfahrung mit Blumenläden hätte, denn die hab ich nicht. Wenn ich mal
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