Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
abzuschalten, nicht, um sich zu waschen, und am besten ging das mit heißem Wasser, einem eiskalten Getränk und sehr viel Zeit.
Was für ein wunderbares Wochenende, dachte Johansson zufrieden. Gut angefangen hatte es auch. Zwar nicht mit der großen lebenslangen Liebe, aber geteilte Triebe waren offenbar ausreichend, um die momentane Einsamkeit in die Flucht zu schlagen. Sie waren nachher nicht einmal mehr ins Lokal gegangen. Ein schlichtes Butterbrot und ein Glas Wein am Küchentisch hatten es mit einem italienischen Mahl mit drei Gängen durchaus aufnehmen können.
Ob man so wohl leben kann?, überlegte Johansson und ließ heißes Wasser nachlaufen, um sich seine philosophische Stimmung zu erhalten. Das Leben als erträgliche Mischung aus Lust und Leid mit einigen zufälligen Einsätzen, sowie die Einsamkeit sich zu stark bemerkbar machte? Aber auf die Dauer würde das wohl doch nicht gehen, überlegte Johansson und nippte an seinem Glas. Dann brauchte man etwas Dauerhafteres. Was hatte dieser Vennberg noch gesagt? »Der Schrei der Trottellumme und das Messer am offenen Auge, alles, nur nicht noch einmal dieselbe Einsamkeit.«
Das ist wirklich ein fähiger Dichter, dieser Vennberg, dachte Johansson. Und er war wohl nicht der Einzige, der das so sah. Er war auch der Lieblingsdichter des Ministerpräsidenten, denn das hatte er in einem Buch gelesen, dessen Autor und Titel ihm entfallen waren. Es stammte von irgendeinem politischen Journalisten der Zeitung Aftonbladet, und von denen gingen doch dreizehn aufs Dutzend, dachte Johansson. Aber Vennberg war wirklich jemand. Trotzdem hat er bestimmt noch keine Trottellumme geschossen, dachte Johansson und lächelte, denn er selbst hatte schon so manche erlegt, seit er ein kleiner Knabe gewesen war. Er hörte noch immer Papa Everts Flüche in den Ohren, wenn er mit seinem unter Naturschutz stehenden Beitrag zur Familienkost nach Hause gekommen war.
Ob der Ministerpräsident wohl schon mal eine Trottellumme geschossen hat?, überlegte Johansson und, genau in diesem Moment ging ihm auf, was bei Krassners Tod passiert war.
Als Johansson aus der Wanne stieg, trocknete er sich ganz besonders sorgfältig ab, denn jetzt brauchte er nichts zu überstürzen. Stattdessen streifte er seinen Morgenrock über, ging ins Arbeitszimmer und nahm sich die Plastiktüte mit Krassners Papieren vor. Legte sie auf den Schreibtisch und beschloss mit dem Stapel anzufangen, zu dem auch das Manuskript von Krassners Buch »The Spy that went East« gehörte.
Er fand es fast sofort. Zuerst das Titelblatt mit dem Namen des Autors. Dann ein Inhaltsverzeichnis mit Kapiteltiteln, die zwei Seiten bedeckten, noch unvollständig und mit handgeschriebenen Korrekturen und Hinzufügungen. Danach fand er das Gesuchte. Auf einer eigenen Seite, ein Zitat, das dem im ersten Kapitel folgenden Text als Einleitung diente.
Johansson übersetzte beim Lesen, was keine große Kunst war, da er die kurze Passage im englischen Original und in der schwedischen Übersetzung mehr oder weniger noch im Kopf hatte.
»Ich habe mein Leben zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters gelebt. Als ich jünger war, dachte ich, wenn der Sommer kommt, werde ich mich in eine verlieben, die ich über alles lieben kann, und dann wird mein Leben richtig beginnen. Aber als ich alles getan hatte, zu dem ich gezwungen worden war, war der Sommer schon vorüber, und alles, was blieb, war die Kälte des Winters. Und das war nicht das Leben, das ich mir vorgestellt hatte.«
Hier aber gab es noch einen Verweis. Auf einer gesonderten Seite mit Fußnoten, die diesem Kapitel folgte, stand: »Auszug aus einem Brief von Pilgrim an Fionn, April 1955.«
Johansson legte das Manuskript beiseite und griff zu Papier und Kugelschreiber. Was hatte sie noch gesagt, Sarah Weissman, diese außerordentlich begabte Frau, als sie einander vor nur einer Woche begegnet waren, was ihm jetzt wie eine Ewigkeit erschien? Das hat Krassner nicht selbst geschrieben, aber es sieht so aus, als habe er es irgendwo geklaut. In diesem Punkt hatte sie offenbar Recht gehabt, und jetzt, wo Johansson das Ergebnis kannte – oder doch zumindest den Beginn eines Ergebnisses –, hatte er auch nicht den Eindruck, dass Krassner diesen Sachverhalt hatte vertuschen wollen. Der Autor war offenbar eine Person, die sich Pilgrim nannte und die mehr als dreißig Jahre zuvor einen Brief an ein anderes Pseudonym geschrieben hatte, an Fionn.
Was hatte sie sonst noch gesagt?
Weitere Kostenlose Bücher