Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
schienen mehr oder weniger willkürlich in den laufenden Text eingefügt worden zu sein, möglicherweise waren sie einfach im falschen Stapel gelandet, als Krassner sie nach dem Kopieren sortiert hatte.
Johansson war zwar kein Schriftsteller, doch wäre er einer gewesen und wäre er mit dem Flugzeug um die halbe Welt gereist, um Hintergrundinformationen für ein Buch zu recherchieren, das er mental und inhaltsmäßig wohl schon für vollendet hielt … ja dann, dachte Johansson, hätte ich doch verdammt noch mal das schon Geschriebene mitgenommen. Um eine Grundlage zu haben, wenn ich diese letzten Selbstverständlichkeiten zu Papier bringe, die dazugehören, damit das Werk überzeugend wirkt.
Und deshalb gingen in seinem Kopf die Alarmglocken los. Als seine Kollegen unmittelbar nach dem Fenstersprung Krassners Zimmer durchsucht hatten, hatte es dort vermutlich ganz einfach an allem Findenswerten gefehlt, nämlich an Krassners gesammeltem Arbeitsmaterial. Das, was er aus den Staaten mitgebracht und was er während seiner sechs Wochen in Schweden zusammengetragen hatte. Von Bäckström und Wiijnbladh erwartete er nun wirklich keine großen Taten, er kannte beide, und wenn er in dieser Hinsicht etwas zu sagen hätte, wären sie beide nicht mehr bei der Polizei, aber ganz blind waren sie nicht. Außerdem war Jarnebring dort gewesen, und da auch er nichts gefunden hatte, lag es auf der Hand, dass nichts vorhanden gewesen war. Wer hatte das Material also beiseite gebracht? Denn davon, dass es welches gegeben hatte, war Johansson absolut überzeugt.
Die Kollegen von der Säpo, dachte Johansson. Und wenn dem so wäre, gäbe es zwei Alternativen, die ihm beide glaubwürdiger vorkamen als andere. Im ersten Fall hatten sie eine so genannte verdeckte Hausdurchsuchung vorgenommen, als Krassner unterwegs in der Stadt war, aus eigenem Antrieb oder weil sie ihn weggelockt hatten, und dann hatten sie seine Papiere eingesackt und mitgenommen. Und das wäre ja auch alles gut und schön und vermutlich sogar gesetzlich gedeckt. Johansson kannte sich mit der geheimen Gesetzgebung nicht aus, aber das wenige, das er wusste, sprach doch für diese Annahme.
Dann kommt Krassner um kurz nach sieben nach Hause, denn das hatte Jarnebring ihm selbst erzählt, weshalb man annehmen konnte, dass es auch so gewesen war. Und als er sein Zimmer betritt und feststellt, dass all seine Unterlagen verschwunden sind, trifft ihn das so hart, dass er der Hauptperson seines Buches einige Zeilen seines Abschiedsbriefes stiehlt und aus dem Fenster springt. Der Ministerpräsident, den er, wie Krassner im Manuskript mehrmals vermerkt, »zum Kotzen findet« – makes me wanna puke –, hat die Ehre, seine letzten Worte in diesem Leben zu formulieren?!
Vergiss es, dachte Johansson. Nicht Krassner, der in seinem Banksafe in Albany eine Ladung Kopien der wichtigsten Informationen liegen hat und der vermutlich irgendwo auch ein Original aufbewahrt. Nicht Krassner, der in seinem Schlafzimmer in Albany ein geladenes und entsichertes Schrotgewehr versteckt. Nicht Krassner, der schon in jungen Jahren die Frau seines Lebens zusammenschlagen konnte. Und auch nicht die Säpo, denn was soll eine verdeckte Hausdurchsuchung schon nutzen, wenn sie vom Hausbewohner bei dessen Heimkehr sofort bemerkt wird? Da gibt es doch andere und um einiges bequemere Lösungen. Man kann irgendeinen passenden Verdacht zusammenschustern, den Arsch festnehmen und ihn in den Knast stecken, während man seine Habseligkeiten in aller Ruhe durchsiebt. Das hatte Johansson selbst auch schon häufiger gemacht, in dieser Hinsicht wusste er also, wovon er redete.
Aber … was, wenn sich trotz allem keine Papiere gefunden hatten? Bewahrte er sie vielleicht anderswo auf? Wenn die Kollegen von der Sicherheitspolizei niemals eine verdeckte Hausdurchsuchung vorgenommen hatten? Wenn Krassner ganz einfach Selbstmord begangen hatte? Wenn, wenn, wenn, dachte Johansson gereizt, und wenn er unter diesen Vorbehalten irgendeine brauchbare Ordnung schaffen wollte, dann musste er selbst hinfahren und mit Krassners ehemaligen Nachbarn reden. Ver- giss auch das, dachte Johansson, denn abgesehen von allem anderen hatte er dazu ganz einfach keine Zeit.
Deshalb rief er Wiklander an, der schon dort gewesen und als Polizist nicht der schlechteste war.
»Ich bin zu Hause«, sagte Johansson. »Ich will mit dir reden. Du kannst einen Kaffee kriegen.«
Eine Viertelstunde später saßen er und Wiklander mit frisch
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