Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
Johansson. Sich keinen unnötigen Ärger einhandeln. Aber auf etwas, das so nach Ärger roch wie Krassners so genannter Selbstmord, war er noch nie gestoßen. Und was zum Teufel soll ich Jarnis sagen?, dachte er mit einem tiefen Seufzer. Ganz abgesehen davon, dass er mein bester Freund ist, wird er mich für verrückt halten.
Regel Nummer drei, dachte Johansson. Dem Zufall misstrauen! In der Hinsicht hattest du offenbar Recht, dachte er und grinste zu Krassners Papierstapeln hinüber, die auf seinem ansonsten ordentlichen Schreibtisch lagen. Da der Stapel nun einmal ihm gehörte, konnte er sich auch mit den Informationen beschäftigen, die er enthielt. Was hatte dieser Krassner noch in diesem Brief geschrieben, von dem er wohl niemals wirklich geglaubt hatte, dass Johansson ihn jemals lesen würde? Dass ich dafür sorgen kann, dass in meiner eigenen Heimat Gerechtigkeit geübt wird, dachte Johansson.
Montag, 16. Dezember
Am Montagmorgen um kurz vor acht Uhr rief Johansson seine Sekretärin an, um ihr mitzuteilen, dass er zu Hause arbeiten und nicht gestört werden wolle.
Falls nicht der Teufel losbricht, aber warum sollte er?, dachte Johansson.
»Ja, wenn nichts Außergewöhnliches passiert, meine ich«, sagte Johansson.
»Aber du kommst doch morgen?«, fragte seine Sekretärin.
»Sicher«, sagte Johansson. »Am Dienstagmorgen komme ich wie immer.« Red nicht so viel Unsinn, dachte er.
»Und du hast nicht vergessen, dass du Dienstag und Mittwoch zu dieser Konferenz über Totalverteidigung musst?«, fügte sie hinzu.
»Nein«, sagte Johansson und konnte endlich den Hörer auflegen.
Er brauchte zwei Stunden, um Krassners Manuskript durchzusehen. Wenn auch nur ein Teil davon der Wahrheit entsprach und sich beweisen ließ, dann konnte es für den Betroffenen ziemlich eng werden, aber für den Moment ging es Johansson nicht um den eigentlichen Inhalt. Was seine polizeilichen Alarmglocken losschrillen ließ, waren Umfang, Volumen und vor allem Struktur von Krassners Schriften, zusammen mit dem denkbaren Inhalt dessen, was er nicht mehr hatte schreiben können.
Vorhanden waren knapp hundertfünfzig mit Maschine beschriebene Seiten, die sich auf die Hauptperson des Buches bezogen, den Ministerpräsidenten, und egal, ob das, was dort stand, wahr war oder nicht, denn das war eine weniger wichtige Frage, die später behandelt werden konnte, befand das Manuskript sich jedenfalls in einem Zustand, so dass ein professioneller Verlagslektor daraus ein Buch machen könnte. Ein Buch von etwa zweihundertfünfzig bis dreihundert Druckseiten, vorausgesetzt, der Autor hätte die im Inhaltsverzeichnis beschriebenen Ziele verwirklichen und den noch ausstehenden Text verfassen können.
Noch interessanter war das, was nicht dort stand und ungeschrieben geblieben war. Worum es darin gehen sollte, ergab sich unter anderem aus einem ziemlich ausführlichen Exposé, aus dem Inhaltsverzeichnis, das alle geplanten Kapitel mit Zwischenüberschriften und kurzen Textbeschreibungen enthielt, und nicht zuletzt aus den zahlreichen Notizen, die Krassner mit der Hand in seinem Manuskript angebracht hatte. So fehlten zum Beispiel die Kapitel, in denen es um die schwedische Sozialdemokratie und die Geschichte der Sozialdemokratie gehen sollte, über frühere führende Sozialdemokraten und ihren Handel und Wandel, über Schwedens Rolle im Zweiten Weltkrieg, über die schwedische Neutralitätspolitik, über die sicherheitspolitische Lage in Nordeuropa und über die Bedrohung durch den mächtigen Nachbarn im Osten.
Ganz einfach Hintergrundinformationen, dachte Johansson. Den handgeschriebenen Notizen zu den noch ungeschriebenen Kapiteln entnahm er, dass Krassner auch diesen Teil seiner Arbeit in Schweden hatte ausführen wollen. Das stand im Klartext an verschiedenen Stellen, in Krassners eigenen, kaum leserlichen Krähenfüßen, »Sweden!«, »to be written in Sweden«, »write in S.«. Und es gab sogar handschriftliche Anweisungen darüber, wo das Material zu finden war: »Archiv der Arbeiterbewegung«, »Archiv der Sozialdemokraten«, »Parlamentsprotokolle«, »Königliche Bibliothek (Royal Library, Humlegarden)« und so weiter.
Vor allem interessant aber war die Schlussfolgerung, die sich aus der Tatsache ergab, dass das Manuskript auf seinem Schreib- tisch mit Ausnahme von vielleicht zwanzig Seiten aus Fotokopien bestand. Also musste es irgendwo ein Original und möglicherweise weitere Kopien geben. Die nicht kopierten Seiten
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