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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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verkürzen könnte.
    Die Tage kamen und gingen, er selbst war nur ein normaler stellvertretender Kriminaldirektor, der bald Bürochef sein würde und bis dahin seine Batterien auflud. So musste man die Sache sehen. Am Samstag, dem 28. Dezember, wurde der Stockholmer Polizeichef in den großen Abendzeitungen als Geburtstagskind gefeiert, und da Johansson ihm häufiger begegnet war, hatte er beim Spazierengehen fast eine Viertelstunde über diesen Geburtstag nachgedacht. Unschuldige Kinder, dachte Johansson. Was immer man von dem Kerl auch halten mag und auch wenn er in diesem Punkt seine festen Ansichten hatte, unschuldig war er ja wohl wirklich nicht. Weder im ursprünglichen Sinn des Wortes noch im übertragenen, herabsetzenden, den es in neuerer Zeit angenommen hatte. Es ist sicher noch schlimmer, fürchte ich, dachte er und ging schneller. Und auf jeden Fall war es wohl das spannendste Ereignis dieses Tages.
    Zu Silvester hatten Bruder und Schwägerin ein großes Fest veranstaltet, mit Champagner, gemietetem Personal und allerlei weiblichen Gästen mit Dekolleté und männlichen im Smoking.
    »Das wollte ich noch sagen«, sagte Johanssons Bruder. »Hier ist Smoking angesagt, aber du kannst meinen alten leihen. Schlimmstenfalls knöpfst du ihn eben nicht zu.«
    Wie gut, dachte Johansson. Dann brauche ich immerhin keinen zu mieten.
    Er hatte ihn dann doch schließen können. Obwohl das Jackett doppelreihig geknöpft wurde, saß es noch immer locker, und als Johansson sich auf seinem Zimmer im Spiegel betrachtete, sah er aus wie jeder Autohändler mittleren Alters.
    »Verdammt, Brüderchen, du siehst ja fast so aus wie ein anständiger Mensch«, sagte sein Bruder zufrieden, als Johansson eine Weile später das Wohnzimmer betrat.
    »Schade, dass du so kurze Beine hast«, sagte Johansson. »Sonst säße er jetzt perfekt.«
    »Du kannst ihn behalten«, sagte sein Bruder großzügig. »Ich habe noch andere.«
    »Du kennst nicht zufällig einen Zwerg, der klein und dick genug ist?«, fragte Johansson.
    »Verdammt, Brüderchen«, sagte Johanssons großer Bruder, legte ihm den Arm um die Schultern und zog ihn an sich. »Heute Abend wollen wir Spaß haben. Wir werden fressen und saufen und tanzen und die Frauenzimmer umschwärmen. Hab ich übrigens schon gesagt, dass ich eine Überraschung für dich habe?«
    Johanssons Überraschung traf ungefähr in der Mitte des Zustroms an Gästen ein, was absolut in Ordnung war, wenn man bedachte, wer sie war und wer die anderen Gäste waren. Außerdem war sie dekolletiert, was sie bei ihrer letzten Begegnung, als sie in seinem Stammlokal gegessen hatten, nicht gewesen war.
    »Lars«, sagte sie und hörte sich erfreut und überrascht an. »Was machst du denn hier?«
    »Ich wohne hier«, sagte Johansson.
    Da Johanssons großer Bruder keiner war, der irgendetwas dem Zufall überließ, schon gar nicht dann, wenn er mit Mama Elna unter einer Decke steckte, hatten sie beim Essen natürlich nebeneinander gesessen und ausgiebig über alles Mögliche geplaudert.
    »Du hast nie von dir hören lassen, obwohl du es versprochen hattest«, sagte Johanssons Tischdame und klang fast ein wenig verletzt.
    Und was ist mit dir?, dachte Johansson, sagte es aber nicht. Er sah sie nur aus seinen ehrlichen blauen Augen an und belog sie.
    »Habe ich wohl. Ich hab dich in der Woche angerufen, als ich aus den USA zurückgekommen war, und in eurer Zentrale haben sie versprochen, dir Bescheid zu geben«, sagte Johansson, der aus Erfahrung wusste, wie überzeugend diese Erklärung war.
    »Die sind einfach hoffnungslos«, sagte seine Tischdame mit echter Resignation.
    »Und seither hatte ich schrecklich viel zu tun«, sagte Johansson. Was immerhin schon ein wenig mehr der Wahrheit entsprach. »Woher kennst du übrigens meinen Bruder?«
    Sie hatten sich offenbar bei einem Rotary-Treffen kennen gelernt, wo über die Polizei gesprochen worden war, und schon wenige Wochen darauf hatte die Post die Einladung gebracht.
    Du musst ja wohl etwas mehr gesagt haben, dachte Johansson.
    »Und da mein damaliger Freund und ich endlich beschlossen hatten, von nun an getrennte Wege zu gehen, da … ja, hier bin ich jedenfalls«, sagte sie und lächelte auf eine kaum misszuverstehende Weise.
    Gegessen und getrunken hatte er, und zwar mehr als nur reichlich, und dann hatte er getanzt, und zumeist hatte er mit seiner Tischdame getanzt, und mehrmals war ihm im Gewimmel hinter ihrem Rücken das wissende Grinsen seines großen Bruders

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