Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
schilderte. Und auch im folgenden Fließtext gab es solche eingeschobenen Überlegungen und Passagen. Und was für eine schreckliche Sprache, dachte Johansson genervt. Als traditioneller Leser und getragen von der Überzeugung, dass ein Sachverhalt sich am besten mit Tatsachen beschreiben lässt, allein mit Tatsachen, je härter, desto besser. Schwallbacke, dachte Johansson vergrätzt.
Am folgenden Tag hatte er sich dann endlich mit den eigentlichen Sachfragen beschäftigen können. Von allem, was er gelesen hatte – was stimmte, was war falsch, was war zweifelhaft? Krassners Manuskript begann mit einer Räuberpistole, die sich angeblich im März 1945 in Stockholm zugetragen hatte. Es handelte sich um eine detaillierte Beschreibung, die Namen, Orte, Zeitpunkte und mehrere in die Ereignisse verwickelte Personen nannte. Das lässt sich immerhin überprüfen, dachte Johansson.
Ganz bestimmt hatte Krassner für die Wahl dieser Einleitung mehrere Gründe gehabt. Er konnte auf diese Weise Appetit auf den folgenden Text machen, und es war eine einfache und wirkungsvolle Vorstellung der beiden Hauptpersonen im Buch, seines eigenen Onkels John C. Buchanan und eines schwedischen Mathematikprofessors namens Johan Forselius. Sein wirkliches Ziel jedoch war sicher ein anderes, nämlich zu beschreiben, wie der schwedische militärische Nachrichtendienst gegen Ende des Krieges so eng mit seinen Kollegen aus den USA zusammengearbeitet hatte. Und wie es dazu gekommen war.
Die Hauptperson in dieser Geschichte war ein polnischer Kapitän namens Leszek Matejko. Als sein Land im September 1939 von Deutschland überfallen worden war, diente Matejko als Fähnrich bei der ruhmreichen polnischen Kavallerie, die innerhalb weniger Tage von den deutschen Panzern im wahrsten Sinne des Wortes zerschmettert wurde. Matejko war mit dem Schrecken und einem blutigen Kopfverband davongekommen, und als die polnische Niederlage zur Tatsache geworden war, hatte er sich nach England retten können, um den Kampf von dort aus fortzusetzen. In London angekommen, wurde er als einer der ersten polnischen Offiziere für die »freien bewaffneten polnischen Truppen« angeworben.
Deren Bedarf an Kavalleristen war zwar begrenzt, doch da Fähnrich Matejko ein begabter junger Mann war, war er bald zum Nachrichtenoffizier ernannt worden und hatte in dieser Eigenschaft fast den gesamten Krieg in London verbracht. Und hier hatte er seinen anglisierten Spitznamen »Les« erworben. Im Herbst 1944, als die Russen die Deutschen schon ein gutes Stück aus seiner alten Heimat vertrieben hatten, wurde Kapitän Les Matejko als Verbindungsoffizier an die britische Botschaft in Stockholm versetzt, und man »brauchte ja wohl kaum Militär zu sein, um zu verstehen, warum«. Aber klar, dachte Johansson und nickte, denn das verstand er, obwohl er sich immer für einen überzeugten Zivilisten gehalten hatte. Was er dagegen nicht verstand, war, warum Krassner den angefangenen Bericht nicht beendet hatte. Das hätte doch richtig gut werden können, dachte Johansson und nickte enttäuscht.
Zu ungefähr demselben Zeitpunkt war Major John C. Buchanan an der US-Botschaft in Stockholm aufgetaucht, um dort fast sofort und offenbar auch total ungehindert eine Zusammenarbeit mit seinen »Kollegen« vom schwedischen Nachrichtendienst in die Wege zu leiten. Einer der Schweden, mit denen er dabei zu tun hatte und die er später auch privat traf, war der Mathematikprofessor Johan Forselius. Dem schreibenden Neffen zufolge, der sich nicht gerade rücksichtsvoll ausdrückte, lag das vor allem daran, dass sie neben ihrem Interesse an der nachrichtendienstlichen Tätigkeit auch noch ein weiteres gemeinsames Hobby hatten, nämlich den Alkohol. Eine Ware, zu der der an der US-Botschaft akkreditierte Buchanan, anders als sein trockengelegter schwedischer Waffenbruder, freien und unbegrenzten Zugang genoss.
Noch ein Suffkopp, dachte Johansson, und ehe er weiterlas, sah er abermals die Flaschenpyramide in Buchanans Kohlenkeller vor sich. Forselius scheint ein interessanter Typ gewesen zu sein, dachte er dann und machte sich eine Notiz.
Geboren 1907, Mathematiker und offenbar auch kein schlechter, da er bereits mit siebenundzwanzig Jahren promoviert und mit nur dreiunddreißig an einen Lehrstuhl in Uppsala berufen worden war, ungefähr zu der Zeit, als Deutschland Dänemark und Norwegen besetzt hatte. Forselius war als dienstpflichtiger Reservesoldat einberufen und als Analytiker der
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