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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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Gründe das auch haben mochte, so war es doch immer »Bad for Business«, solche Leute an den Pranger zu stellen. In dieser Situation – Raven, der drängt und sich an Pilgrim rächen will, Buchanan, der versucht, ihn zurückzuhalten, und nach anderen Lösungen fahndet – hatte dann alles ein Ende gefunden. Anfang Mai 1974 durch den »vermutlich weißen«, »vermutlich mit einem Anzug bekleideten«, »vermutlich im jüngeren Mittelalter befindlichen« und ganz sicher »alltäglichen« Mann, der in Ravens Kanzlei eingedrungen war und ihn über den Haufen geschossen hatte.
    »Auf den üblichen unergründlichen Wegen, auf denen sich die Nachrichtenagenten der Welt bewegen«, hatten Pilgrims russische Genossen offenbar Lunte gerochen, und Pilgrims Freund und Führungsoffizier, der russische KGB-General Gennadi Renko, Mitglied des Politbüros, Mitglied des Zentralkomitees, hatte in Pilgrims Vergangenheit rasch aufgeräumt. Daraufhin hatte Buchanan seinen Entschluss gefasst. Egal, ob er damit sein Leben, seine Pension und seinen guten Ruf aufs Spiel setzte, er wollte jedenfalls nicht klein beigeben, und am meisten ärgerte er sich darüber, dass Pilgrim die Frechheit besessen hatte, den Hinterbliebenen des von ihm ermordeten Mannes auch noch eine Beileidskarte zu schicken. Deshalb hatte er seinem »Neffen, jungen Freund und getreuen Waffenträger« die ganze Geschichte erzählt und ihm das »heilige Versprechen« abgenommen, dafür zu sorgen, »dass Gerechtigkeit geschaffen und der vielleicht größte Verräter der europäischen Nachkriegsgeschichte seiner verdienten Strafe zugeführt« würde.
    »Und das ist der einzige, schlichte und selbstverständliche Grund, aus dem ich dieses Buch schreibe«, so beendete Krassner sein Manuskript. Den Schluss des allerletzten Satzes hatte er dann offenbar gestrichen, möglicherweise aus falscher Bescheidenheit oder weil er sich zusammengerissen hatte, denn da er es nur achtlos mit Kugelschreiber hingekritzelt hatte und die letzte Seite, ebenso wie die vorletzte, ein Original war und keine Fotokopie, konnte Johansson den ursprünglich mit Maschine geschriebenen Text auf der Rückseite des Blattes lesen:
    »… obwohl mir natürlich klar ist, dass ich damit das beträchtliche Risiko eingehe, ebenfalls ermordet zu werden.«
    Am Tag nach Dreikönig war Johansson mit einem von seinem Bruder geliehenen Auto nach Stockholm zurückgefahren, um es bei einem Autohändler in der Surbrunnsgatan abzugeben, mit dem er eine vage polizeiliche Erinnerung verband, an die er jetzt nicht denken wollte. Stattdessen dachte er an andere Dinge und vor allem an Krassner und dessen Hinterlassenschaft. Er war die ganze Zeit ungewöhnlich gut gelaunt und grübelte vor allem über ein kleines Detail in Pilgrims Abschiedsbrief, für das Krassner ihm keine Erklärung geliefert hatte, nicht einmal die Andeutung einer Erklärung. Die Sache mit dem freien Fall wie im Traum.
    Was ist damals eigentlich passiert?, dachte Johansson. Und vor sich, im Dämmerland seiner Fantasien, sah er einen umgebauten Lancashirebomber mit schallgedämpften Motoren, der sich im Schutze der Dunkelheit unter dem polnischen Radar hindurchschlich. Die Sprungluke war schon geöffnet, und da stand Pilgrim in schwarzem Overall und eng sitzender Ledermütze, aus der nur seine Habichtsnase hervorragte. Jeder Muskel war angespannt, als er sich an einem Draht am Dach festhielt. Jetzt, jetzt kam das Klarsignal, und nach einem entschiedenen Nicken trat er vor, ließ den Draht los und fiel frei wie in einem Traum, durch alles Schwarze, zu allem Unbekannten dort unten.
    Was für eine Vorstellung, ein richtiger Schriftsteller hätte Krassners Material zu fassen bekommen, seufzte Johansson. Was hätte das für eine Geschichte werden können. Es brauchte nicht einmal wahr zu sein.
     

 
XVI
     
Und alles, was blieb, war die Kälte des Winters
     
     

 
Stockholm, Januar bis Februar
    Waltin hatte nicht versucht, Hedberg zu erreichen. Er war einfach sauer gewesen, weil die Tage vergingen, ohne dass er etwas Vernünftiges ausrichten konnte. Er hatte sogar die Schulung der kleinen Jeanette unterbrechen müssen, obwohl er erst jetzt wirklich Zeit gehabt hätte, die Sache ernsthaft anzugehen. Er hatte sich einfach nur den Kopf über alle Idioten zerbrochen, die ihn umgaben und die offenbar nur den einen Gedanken hatten, nämlich, wie sie ihm den größtmöglichen Ärger bereiten könnten.
    Berg zum Beispiel, der ganz offensichtlich versuchte, ihm die

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