Zwischen dir und mir
sondern fielen offen und zerzaust über ihre Schultern, aufgeladen vom Stoff eines Kopfkissens.
»Marie?«, fragte sie wie benommen.
»Es ist nicht, wie du denkst, Lisa.«
»Du …«, schrie sie fassungslos. Es schmerzte in ihrer Brust, wo die ganze Wut und Enttäuschung sich ballte und sie mit jedem Wort enger schnürte. »Du verdammte … wie konntest du? Wie?«
Sie wollte weinen, doch konnte nicht.
Maries Mund stand eine Weile offen. »Ich hab doch gar nicht …«, flüsterte sie irgendwann.
»Es ist mir scheißegal, was du hast. Verpiss dich einfach aus meinem Leben.«
Hinter Marie tauchte im Türrahmen ein Gesicht auf, das sie am liebsten mit ihren Nägeln zerkratzt hätte, bis es blutete. Eine bisher ungekannte Welle von Hass durchflutete sie. Sie zitterte unkontrolliert und ein Schauder durchlief sie. Sie fasste sich an den Kopf, der zu explodieren drohte. Wieder brach alles über sie herein, vor dem sie weggelaufen war. Sie stürmte die Treppe runter, durch den Flur. Auf ihrer Flucht stieß sie jeden fort, der ihr im Weg stand.
»Warte, Lisa!«, hörte sie Dennis rufen.
Sie ertrug es nicht, diese Stimme zu hören. Wie hatte sie ihr nur immer so bedingungslos glauben können?
»Was ist denn da oben los?«
»Hey, Lisa, willst du schon gehen?«
Die Tür knallte zu, die Stimmen verhallten. Doch das Haus schien sie zu verfolgen. Straße um Straße rannte sie, rannte, bis sie nicht mehr konnte. Ein Sommergewitter platzte los. Ihre Tränen begleiteten die Tropfen an ihrer Wange herunter. Die Menschen, die durch den Regen nach Hause eilten, huschten wie Schatten an ihr vorbei. Lisa schloss die Augen und legte ihre Hände auf den Kopf, als könnte sie sich so vor den herabstürzenden Wassermassen schützen – vor alldem, was über sie hereinbrach. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, hatte ihre Hand schon die Tasche geöffnet und das iPhone hervorgeholt. Sie brauchte eine Weile, bis sie auf dem feuchten Display den richtigen Namen im Telefonbuch gefunden hatte und die Nummer wählen konnte. Tuten, gleich würde sich die Mailbox melden. Die automatische Stimme würde ihr mitteilen, dass niemand sie zurzeit sprechen wolle.
»Ja?«, meldete sich Alex.
»Kannst du mich abholen?«, flehte sie und hoffte inständig.
Nichts. Hatte er aufgelegt?
»Ich lieg schon im Bett. Was ist denn los?«, hörte sie ihn nach ein paar Sekunden sagen.
»Ich bin alleine.«
»Ich auch«, seufzte Alex.
»Dann kannst du doch kommen, oder?«, fragte sie verzweifelt nach.
»Scheiße, die ganze Woche läufst du mir nur davon und jetzt …?«
War er ihr böse?
»Es tut mir leid, Alex. Ich war … ich war von ihm noch nicht weg.«
Wieder knackte es und sie hörte nur seinen Atem durch das Rauschen des Regens. »Was hat er getan?«
»Ist egal.« Sie wollte nicht, dass er noch eine Frage stellte, auf die sie keine Antwort geben wollte.
Es blieb still in der Leitung.
»Bist du noch dran?«
»Wo bist du?«, ergab er sich.
»Ecke Eichenstraße«, antwortete sie erleichtert mit Blick auf das Straßenschild.
»Stell dich bei der Bushaltestelle unter. Ich bin in fünf Minuten da.«
Lisa steckte das iPhone weg und stapfte durch die Pfützen bis zum verabredeten Treffpunkt. Dort setzte sie sich auf die überdachte Bank und kauerte sich zusammen. Es war so kalt geworden, dass sie unter dem dünnen Stoff anfing zu frieren. Sie lauschte nur dem Regen, der vor ihr auf das Pflaster prasselte. Jeder Blitzschlag ließ ihr Spiegelbild in einer Pfütze unter ihr aufleuchten, dann war es wieder düster um sie herum. Ihre Augen entdeckten eine Gestalt am Ende der Straße. Im spärlichen Licht der Laternen sah sie nur die Umrisse und doch beruhigte sie sich augenblicklich. Ihre Hände zitterten nicht mehr, als sie sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht strich.
Die Hände tief in den Taschen vergraben, lief er durch den Schauer, bis er vor ihr stand und die Kapuze seiner Jacke runterzog. Mit den Fingern kämmte er die Haare, die nur an den Spitzen feucht waren, zur Seite und schaute sie aus seinen braunen Augen an.
Ohne ein Wort setzte er sich neben sie
»Willst du meine Jacke?«, fragte er nach einer Weile.
Lisa mochte diese Stimme. Sie schüttelte nur den Kopf, damit sie ihn noch einmal hören konnte.
»Ich hab ein Sweatshirt darunter, du kannst sie ruhig haben.«
Als sie das erste Mal wieder zu ihm schaute, schenkte er ihr ein aufmunterndes Lächeln, das ihr half, das ihre wiederzufinden. »Okay«, nickte sie.
Alex lachte,
Weitere Kostenlose Bücher