Zwischen dir und mir
Wind in den Blättern, den Geruch von frischem Gras und Laub – das würde sie jetzt spüren. Es musste ihr einfach gefallen. »Vertrau mir.«
Sie nickte. Endlich hatte sie ihre Zweifel abgelegt.
Es waren nur ein paar Schritte, die sie durch den Wald gingen. Das Geäst knackte unter Lisas gelben Ballerinas, aus denen ihre Füße immer wieder herausschlüpften. Alex grinste. Er bewunderte, wie sie sich abmühte. Andere Mädchen wären sich für so was bestimmt zu schade gewesen.
»Du darfst die Augen öffnen!«
Es war, als würde ein Silberschatz zwischen den Bäumen auf sie warten. Die Sonne spiegelte sich in einem kleinen See, der nur ein paar Meter entfernt vor ihnen lag. Er ließ ihre Hand los und ging voran.
»An dem Teich waren früher Biologen. Sie haben eine Hütte auf der anderen Seite. Seit sie weg sind, ist es hier ein Naturschutzgebiet. Kennt fast keiner. Julians Bruder Flo hat die Stelle vor ein paar Jahren entdeckt«, erzählte er. Er merkte ihr an, dass ihr das kleine Abenteuer langsam gefiel. Ihre Augen strahlten bei dem Anblick.
»Sonst kommt keiner hierher. Es ist zu abgelegen. Alle fahren zu den großen Teichen. Hier kann man nicht baden. Aber wenn du keinen Bock auf das Leben da draußen hast, ist es genau der richtige Ort.« Er ging weiter.
Inzwischen stapfte sie begeistert durch das hohe Gras. Sie schien ihre Bedenken endgültig abgelegt zu haben.
»Wir sind gleich da«, rief er. »Komm, da vorne ist es schon.«
Das Dickicht lichtete sich wieder und eröffnete den Blick auf einen hölzernen Bootssteg, der ein Stück über den See ragte. Alex kletterte zuerst auf die knarrenden Bretter. Sie ließ sich hochziehen und folgte ihm ans Ende der morschen Planken, wo sie schweigend nebeneinander Platz nahmen. Er ließ ihre Hand dabei nicht los.
Das Wasser bewegte sich kaum. Der blaue Himmel und die Bäume spiegelten sich als scharfes Bild, das nur dann erzitterte, wenn der schwache Wind darüber hinwegstrich. Als sie runterschauten, sahen sie ihre Füße nah über der Oberfläche baumeln. Alex zog die Schuhe aus und warf sie hinter sich ans Ufer. Lisa tat es ihm nach. Als sie barfuß neben ihm saß, legte sie ihre Hand wieder auf seine.
»Warum kennen wir uns nicht schon länger?«, fragte sie schließlich.
»Keine Ahnung. Wir haben uns nie beachtet …«
Ein ernster Ausdruck trat in ihr Gesicht. »Ich find’s schön, dass wir uns jetzt gefunden haben.«
»Vielleicht nicht für lange«, murmelte er. Er wusste selbst nicht so genau, woher seine plötzliche Niedergeschlagenheit kam.
»Wieso?«, fragte sie mit Verwunderung in der Stimme. Er spürte, dass sie ihn beobachtete, aber sein Blick verlor sich irgendwo im Teich.
»Tja, ich werde wohl sitzen bleiben. Eine Fünf in Bio ist zu viel.«
»Dann ändern wir etwas daran«, gab sie entschieden zurück.
Eine kleine Böe ließ das Wasser leise gegen die Pfähle schwappen. Alex verzog nur skeptisch die Lippen und schnippte einen kleinen Kieselstein weg. Er sprang zweimal auf und ging dann unter.
»Ich bin gut in Bio. Wir lernen zusammen.«
»Nee, lass mal«, lehnte er lachend ab und schüttelte den Kopf. »Das macht nicht viel Sinn. Vielleicht geh ich auch ab und mach auf der Realschule meinen Abschluss. Damit kann ich immer noch eine Ausbildung machen.«
»Was willst du mal werden?«
Er schaute mit krauser Stirn auf. »Oh, jetzt kommt das . Klar, schlecht in der Schule, dann wird auch nix aus dir.« Warum stellte sie diese Fragen, auf die er selber keine Antwort wusste?
»Hey, das wollte ich damit nicht sagen«, protestierte Lisa.
»Doch. Das wolltest du damit sagen«, erwiderte er etwas spöttisch.
Sie blieb sprachlos und verdrehte die Augen.
»Was willst du denn werden? Tierärztin? Welt retten?«
»Hey, mach dich nicht lustig über mich«, wehrte sie sich.
»Okay«, beruhigte er sie. »Dann erzähl.«
»Ich …«
»Ja?«, fragte er nach.
»Medizin studieren.«
»Wollen deine Eltern. Und was willst du?«
»He, warum sagst du so was? Ich … ich will das wirklich.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich frage mich immer, ob man überhaupt alles planen kann, damit es perfekt wird. Eine Karriere, ein Haus bauen, zwei Kinder, zwei Autos, jedes Jahr zweimal in den Urlaub, Mitglied im Tennisclub. Leben wie jeder. Leben wie keiner.«
»Dieses Leben holt jeden ein. Irgendwann stehst auch du da und …«
»Dann laufen wir halt davon, bis es so weit ist«, lachte er auf. »Trau dich einmal, nicht an morgen zu denken. Und vergiss die
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