Zwischen dir und mir
nicht. Wahrscheinlich hatte er schon eine neue Freundin. Nein, das konnte nicht sein! Dann endlich klingelte es und Lisa sprang auf.
Dienstag, zweite Stunde, da hatte er Chemie. Seinen Stundenplan kannte sie auswendig. Die Vertrautheit gab ihr ihre Sicherheit wieder. Eigentlich war doch alles perfekt gewesen. Wie konnte sie das einfach vergessen?
Lisa wusste gar nicht genau, seit wann sie Dennis kannte. Mit ihren Eltern war sie häufig bei den Langerfeldts gewesen. Erst war er nur ein großer Junge gewesen. Mit der Zeit war er der Junge geworden. Sie hatte als Kind mit ihm gespielt und gelacht, bis sie irgendwann immer nervöser geworden war. Da war sie elf gewesen, und plötzlich war es das Schwerste auf der Welt, einen Satz wie »Hi, alles klar?« auszusprechen, wenn er sie aus seinen blauen Augen anschaute. Zu Hause hatte sie begonnen, Briefe zu schreiben, die er nie bekam. Wenn sie ihn getroffen hatte, traute sie sich nicht, sie ihm zu geben. Wenn Dennis sie geneckt hatte, war ihr kein Wort mehr eingefallen.
Sie war auf seine Schule gekommen, aber er blieb der große Junge, der sich nicht für sie, das kleine Mädchen, interessierte. Sie hatte ihren ersten Freund gehabt, einen zweiten. Doch immer hatte sie sofort Schluss gemacht, wenn Dennis ihr wieder eine SMS geschrieben hatte: wollen wir tennis spielen?
Dass sie nur ihn wollte, hatte sie spätestens im Urlaub gemerkt. Das war vor zwei Jahren gewesen. Die Jahnkes waren mit den Langerfeldts in Florida gewesen. In der Hitze von Miami war das Eis geschmolzen. Sie hatten gelacht, getobt. Er hatte sie ins Wasser geschmissen, sie ihn nass gespritzt. Es war so plötzlich passiert, da hatte er sie am Pool des Clubhotels das erste Mal geküsst. Eine Verabredung im Kino. Einmal im Miami . Da hatte er sie gefragt. Sie hatte keinen Moment überlegt und trotzdem gezögert: »Ja.« Auch er war für einen Moment ein Stück nervös und kein bisschen cool gewesen. Sie wollte zurückkehren zu diesen alten Zeiten, als sie durch den Flur ging und mit jedem Schritt eine alte Erinnerung zu ihr zurückflog. Sie konnte das nicht einfach aufgeben.
»Hi.« Er lächelte.
Ihre größte Angst, dass er nachtragend sein könnte, war verflogen. Seine Augen schauten Lisa an, wie sie es kannte.
»Hi«, erwiderte sie sanft.
»Ich wollte mit dir reden«, übernahm er. Es tat so gut, nicht sprechen zu müssen. Er sah so gut aus, in seinem blauen Polohemd mit dem hochgestellten Kragen. Aus seinem Gesicht war jegliche Härte gewichen. Waren all die schlechten Gedanken nicht nur ein unkontrollierter Ausbruch ihrer Gefühle gewesen? Weil sie nicht mit dem umgehen konnte, was passiert war? Total kindisch und zickig. Das ließ sich bestimmt alles klären. Seine Stimme klang beruhigend und einnehmend wie immer. Sie hatte in der Zwischenzeit vielleicht nur ein Zerrbild von ihm entwickelt, das ihm gar nicht gerecht wurde. In der Nacht vor dem Club hatte er nur Angst gehabt, sie zu verlieren.
Warum hatte sie es nicht einfach mit ihm getan? Vielleicht wäre es dann gar nicht so weit gekommen. Am Ende war vielleicht ihr kleiner Bruder für das ganze Chaos verantwortlich.
»Das ist alles doof gelaufen am Freitag«, redete er weiter. »Es tut mir leid.«
Er spielte verlegen mit seinen Händen, die sie so gerne gehalten hatte. Dennis konnte so süß sein, wenn er ihr sein Lächeln schenkte.
»Ist schon okay«, konnte sie nicht anders antworten.
»Puh«, machte Dennis und lachte so smart, dass das Eis endgültig brach. Es war dieses herausfordernde Lachen, das sie schon als Kind an ihm gemocht hatte. »Wenn wir erst mal wieder Freunde sind, musst du wohl unbedingt zu meiner Sommerparty am Freitag kommen.«
»Klar komme ich.« Ihre Augen weiteten sich vor Freude.
»Also …« Er strahlte sie wieder mit dieser Coolness an und schnippte mit den Fingern. Wenn er sie küssen würde, wäre bestimmt alles gut – alles wieder wie immer. »Dann darf ich mich auf dich freuen. Freitag, zwanzig Uhr, bei mir«, beendete er den Satz, beugte sich vor, nahm sie aber nur in den Arm.
Ich liebe dich, sollte er ihr ins Ohr flüstern. Bitte tu es! Bitte. Aber das tat er nicht. Er löste die Umarmung, zwinkerte noch einmal.
»Bis dann, Lissy.«
»Ciao.«
Sie hatte sich umgedreht, und in dem Moment, als sie ihn nicht mehr sah, waren alle Fragen wieder da. Keine beantwortet.
6
Mist. Wofür hat man eine Mutter? Warum bekommt man ausgerechnet dann Hausarrest, wenn es etwas Wichtiges zu retten gibt? »Wir bezahlen die
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