Zwischen dir und mir
blamieren. Bis jetzt war es so gut gelaufen.
»Hab ich schon im Vegas gesehen«, kicherte sie. Ihre Hand, Finger für Finger, strich langsam seinen Arm hinunter und hinterließ eine Gänsehaut. »Traust du dich etwa nicht?«
»Ich schlag mich lieber mit größeren Jungs, die sich mit ihrer Freundin streiten«, erwiderte er lachend und wollte es ihr etwas schwer machen, auch wenn er bereits besiegt war.
Lisa musste mitlachen, verstummte dann aber, zeigte ihre Zähne, ihre Zungenspitze. Ein herausforderndes Lächeln. »Komm schon, wenn du dich für mich verprügeln lässt, kannst du auch mit mir tanzen.«
Sie nahm wieder seine Hand und ein kurzer Schauer floss bis in seine Fingerspitzen.
Sie stand auf, er folgte.
»Du siehst wirklich nicht aus, als ob du das oft machst«, neckte sie ihn, der sich schon unbeholfen fühlte, bevor sie begonnen hatten. Bestimmt hatte sie schon die Tanzschule besucht. Für Alex war das immer ein absolutes Tabu gewesen. Besondere Lust hatte er auch nie gehabt. Die Typen, die zur Tanzschule gingen, waren meist ziemlich peinliche Nummern.
»Und du nicht, als ob du oft auf einem maroden Steg unterwegs bist«, konterte er neckend.
Sie legte ihre Hände um seine Taille, er seine noch eine Spur zögerlich auf ihre Schultern. Vorsichtig führte er sie zu ihrem Nacken, wie er es gestern getan hatte. Es elektrisierte. Sie machten ein paar Schritte. Traten sich fast auf die Füße, bis sie den Rhythmus fanden.
»Hätte nicht gedacht, dass ihr so was hört.«
»Das hören wir nur hier – und wenn wir total breit sind.« Er hielt kurz inne. »Musik muss zur Situation passen. Und jetzt gerade …«
»… passt das hier«, flüsterte sie ihm zu, dass nur er es hören konnte – nicht der See, nicht die Vögel, kein Blatt, das mit im Wind tanzte. Ihre Lippen waren zart. Ein Schauer durchrieselte ihn, erst kalt, dann heiß – so hatte es sich nie angefühlt. Er wollte nicht mehr loslassen, dieses Gefühl nicht vergessen, das er zuvor nie gehabt – sich nur gewünscht hatte. Mit beiden Händen umfasste er ihren Kopf, strich durch ihre Haare, spürte ihren Atem, als sie sich kurz löste und ihm in die Augen schaute. Nach einem Wimpernschlag schlossen sie sich wieder.
• • •
»Hey, pass auf, ich verlier meine Schuhe«, kreischte sie hinter ihm, während sie über den Schotterweg rasten.
»Dreh um«, flehte sie, prustete aber gleich darauf wieder los und klammerte sich fester an ihn. »Ich hab einen Schuh verloren, du musst …«
»Hey, ich muss gar nichts. Vergiss den.«
Erstaunlicherweise war es ihr wirklich total egal, ob sie den teuren Schuh jemals wiedersehen würde. Stattdessen drückte sie sich noch fester an ihn. Der Wind trieb ihr die Tränen in die Augen, während sie den kühlen Sommerabend und seinen Duft einsog. Mit jedem Atemzug verblassten die letzten Tage. Sie konnte loslassen. Noch mal neu anfangen. Warum hatte sie immer nur zurückgeblickt?
Rilkeweg 23.
Er bremste und sie sprang ab. Seit dem Kuss trafen sich ihre Blicke das erste Mal wieder.
Konnte es so schnell gehen?
Sie brauchte keine Antworten, außer einem letzten Kuss, der nach Sommer schmeckte.
»Träum schön«, verabschiedete er sich, als sie sich lösten.
»Das werde ich.«
An der Tür konnte sie nicht anders, als sich noch einmal umzuschauen.
Er war weg. Sie sah zum Himmel. Durch die Äste der Ulmen schimmerte das warme Licht der Dämmerung. Sie versuchte, dieses Bild festzuhalten, wie auch die anderen … den See, die Musik, jede Erinnerung, so klein sie auch war. Seine Hand auf ihrer, und das Holz darunter. Die Musik, die noch immer leise in den Ohren klang. Die kleine Narbe auf der Stirn, als sie ihm die Haare zurückstrich, um ihn zu küssen. All das wollte sie am liebsten in kleine Schachteln verpacken, um es nie wieder zu vergessen.
Dann drehte sie sich um und sah das Haus vor sich. Still und streng lag es da, umsäumt von den perfekt gestutzten dunklen Umrissen der Hecken. Der Gärtner war letzte Woche da gewesen.
• • •
Das Adrenalin war verpufft. Der Rausch vorbei. Alex wischte sich den Schweiß von der Stirn und stand da. Die weite Straße hinter ihm, das kleine Reihenhaus vor ihm. Alles stand kurz still. Als hätte jemand auf eine Stopptaste gedrückt, um den Tag anzuhalten, der vorher gar kein Ende hatte nehmen wollen. Das Leben ging weiter, als wäre nichts passiert, aber alles fühlte sich seltsam dumpf an.
Das Tor zum Vorgarten quietschte schrill in den Angeln. Der Rollladen
Weitere Kostenlose Bücher