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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lino Munaretto
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Hinterräder verloren den Halt, drehten durch und schlitterten über den Schotter. Der Rückspiegel zeigte, wie die Wand immer näher kam.
    »Tritt aufs Gas, Mann.«
    Er gehorchte blind. Die Hinterräder griffen wieder auf dem festen Asphalt. Der Wagen heulte auf, das Herz raste.
    »Du hast es drauf! Geil, geil, geil.« Sein Bruder packte ihn beim Arm, dass er zusammenzuckte. »Cool bleiben!«
    Alex atmete tief durch. Noch einmal gab er Gas und ließ eine Halle nach der anderen hinter sich. Der Parkplatz tauchte wieder auf und er trat auf die Bremse. Jeder einzelne Kiesel des Untergrunds war zu hören. Der Puls raste immer noch, als der Motor schon verstummt war.
    »Reicht’s dir schon?«
    Ein stummes Nicken und ein schiefes Lächeln genügten als Antwort.
    »Weißt du, was wir machen, wenn du Bock hast?«
    Alex schaute ihn an und zuckte mit den Schultern.
    »Wie heißt die Scheiß-Disco hier gleich? Vegas ? Das ist ein Scheiß gegen das, was es drüben in der Großstadt gibt. Ich hol dich Samstag ab und wir gehen da feiern. Die besten Clubs. Ich kenn die Leute. Da kommen wir überall rein, auch da, wo keine Scheiß-Kanaken rumlaufen.«
    »Coole Sache«, sagte Alex ohne viel Begeisterung.
    Justus schien es nicht zu bemerken.
    Das Napoli war ein kleines italienisches Restaurant in der Altstadt. Vor zehn Jahren hatten sie das letzte Mal hier gegessen. Es war ein ordentlicher Italiener. Steife blütenweiße Tischdecken mit abgestoßenen Ecken und sauber aufgereihtes Besteck, das hier und dort Kratzer zeigte. Früher war das Napoli ein angesagtes Restaurant in der Stadt gewesen. Inzwischen war es ein passables Lokal, das seine Karte seit damals nicht geändert hatte. Es gab gute Pizza, Pasta oder auch ein Stück Fleisch mit Salat. Nichts Besonderes. Trotzdem erinnerte sich Alex an eine wohlige Stimmung, die heute nicht so recht in ihm aufkommen wollte. Bei Justus’ Konfirmation hatten sie das letzte Mal hier beisammen gesessen. Als Familie – wahrscheinlich war er nur zu klein gewesen, um zu erkennen, dass es nur Fassade war.
    »Guten Tag«, begrüßte sie ein Kellner.
    »Wir hatten einen Tisch reserviert«, meldete sich Justus.
    Sie nahmen am Fenster Platz. Justus und er im ungewohnten Hemd. Die Mutter in ihrem besten Kleid. Sie wirkte selig. Zufrieden schaute sie immer wieder abwechselnd zu Alex, dann zu Justus.
    Nur Alex blieb misstrauisch.
    »Schön, dass wir hier sind«, bemerkte Justus.
    Sie erwiderten sein Lächeln. »Ja, mir gefällt es immer noch nach all den Jahren«, fand die Mutter eine zögerliche Antwort.
    »Was möchten Sie trinken?«, unterbrach der Kellner die Stille.
    »Für mich ein großes Bier.«
    »Eine Cola«, antwortete Alex auf den fragenden Blick des Kellners.
    »Ein Wasser«, schloss ihre Mutter die Bestellung.
    Wieder schwiegen sie zu dritt, bis der Kellner die Getränke brachte und die Essensbestellung aufnahm. Justus entschied sich für ein Rumpsteak, Alex nahm eine Pizza Funghi, ihre Mutter einen gemischten Salat. Wieder verschwand die Bedienung.
    »Lasst uns anstoßen.«
    Die Gläser gaben einen schrillen Klang von sich, der im Raum stand. Auch als er sich langsam auflöste, blieb er irgendwo in Alex’ Ohr und bereitete ihm ein unangenehmes Gefühl. Er rückte den Stuhl etwas zurück und setzte sich aufrechter hin.
    »Was ist eigentlich mit Vater? Hat jemand von euch etwas von ihm gehört?« Justus’ Frage folgte wieder eisige Stille. Alex blickte unruhig zu ihrer Mutter, aus deren Gesicht alle Freude verschwunden war.
    »Nein«, antwortete sie kurz und schluckte, bemühte sich aber um ein mattes Lächeln.
    Alex senkte das Besteck, mit dem er herumgespielt hatte. Seine Hände verkrampften sich um das kalte Metall. Mit dem Finger fühlte er über die Prägungen am Griff. Es waren fein eingravierte Schnörkel und ungewollte Kratzer. Dann schaute er zu seinem Bruder auf, mit all der Wut, die sich die letzten Monate in ihm aufgestaut hatte.
    »Ich dachte mir … also … ich wollte mich mal wieder bei ihm melden. Es ist eine lange Zeit vergangen, seit wir ihn gesehen haben. Alex, vielleicht willst du ja mitkommen?« Justus schaute von seiner Mutter zu Alex, auf den nun vier Augen gerichtet waren.
    Messer und Gabel fielen. Nichts außer einem metallischen Geräusch. Schweigen. Polternd schob er den Stuhl zurück, stand auf und verschwand. »Bin auf Toilette.«
    Wieder und wieder klatschte das eiskalte Wasser ins Gesicht, doch die Wut ließ sich nicht einfach wegspülen. Er drehte den Hahn

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