Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lino Munaretto
Vom Netzwerk:
bemerkt haben, Alex traf seinen Blick kurz, als er in den Rückspiegel schielte. Sein Bruder lächelte versöhnlich. Dann ein Zwinkern. Er verdrängte schnell. Konnte rasch vergessen.
    Alex fragte sich, ob sein Leben einfacher wäre, wenn er auch so schnell vergessen könnte.
    »Willst du mal fahren?«
    »Was?« Alex war sich nicht sicher, ob es ein Scherz sein sollte.
    »Du hast schon richtig gehört.«
    Ein scharfes Ausscheren nach rechts, und der Wagen steuerte mit hundertfünfzig auf die kurvige Ausfahrt zu. Alex klammerte sich an die Tür, während er nach links gezogen wurde.
    »Hey, da passiert nix.« Mit quietschenden Reifen bogen sie ins Gewerbegebiet ab.
    »Was hast du vor?«, fragte Alex.
    »Das Auto hat Automatik. Damit kannst du auch fahren.« Justus deutete zur Schaltung, während er voll in die Eisen stieg und an Fabrikhallen und Lagerschuppen vorbeiraste.
    Es war später Nachmittag. Die tief stehende Sonne warf lange Schatten. Alles lag still und ausgestorben da. Früher als kleine Kinder waren sie oft hier gewesen. Alex ungefähr acht Jahre alt. Justus fünfzehn. Sie hatten Verstecken gespielt oder waren in die verlassenen Bagger und Baumaschinen gestiegen. Die Fabrikhallen waren auch der Treffpunkt der älteren Jungs gewesen. Dort hatte es immer nach Maschinenöl und alten Farben gerochen. Ein beißender Gestank. Benutzte Kondome und zerdrückte Bierdosen hatten in den dreckigen Ecken gelegen.
    Einmal hatte er Justus mit Freunden beobachtet, wie sie einen Joint rauchten. Er hatte Schläge bekommen, damit er es nicht ihrer Mutter erzählte. Hätte er sowieso nicht getan.
    Jetzt saß Alex neben ihm. Justus lachte und rauchte eine Zigarette, während ihm der Wind durch die Haare wehte. Der Wagen hielt. Das Brummen des Motors verebbte. Aus dem Wagen ausgestiegen, standen sie auf dem Asphalt der alten Straße, die von Schlaglöchern und Flicken gezeichnet war. In den letzten Jahren hatten immer mehr Betriebe geschlossen. Viele Lagerhäuser standen inzwischen leer. Die rostigen alten Schlösser ließen sich problemlos eintreten. Nur die fremden Namen auf verstaubten Schildern zeigten, wem die Firmen früher gehört hatten. In den Achtzigern sei hier mal eine Menge passiert, erzählten die Erwachsenen manchmal von den besseren Zeiten, die die Stadt erlebt hätte. Georgs Vater hatte hier wohl auch investiert, aber eine Menge Geld dabei verloren. Das hatte Julian zumindest mal gemeint.
    Alex und sein Bruder schauten sich um und für einen Moment war die neue Freude aus Justus’ Augen wie weggeblasen. In diesem Moment, wusste Alex, kehrten auch zu ihm die alten Erinnerungen zurück. Damals war Justus noch so etwas wie ein Vorbild gewesen. In der Schule begabt, bei jedem beliebt. Den Ruf hatte er lange verloren. Alex’ Bruder schlug den Kragen der Lederjacke hoch und zog ein letztes Mal an der Zigarette. Der Qualm verlor sich im Wind und vermischte sich mit den Staubwolken. Er trat die Kippe aus und deutete mit einem Nicken an, dass er genug hatte.
    »Los, steig ein.« Fast hätte Alex den Schlüssel nicht gefangen.
    Justus war schon um das Auto herumgegangen. »Na, los.« Er klopfte ihm auf die Schulter und Alex wechselte die Seite.
    Die Tür war schwer. Der Sitz war fest und bequem. Das neue Leder quietschte. Er rückte sich den Sitz zurecht und steckte den Schlüssel langsam ins Schloss.
    »Na los, dreh ihn rum«, meinte sein Bruder.
    Alex zündete und der Motor regte sich. 300 PS warteten darauf, losgelassen zu werden. Die Straße lag vor ihm.
    »Und jetzt das Gas.«
    Einige Sekunden vergingen, in denen das Blut in seinem Kopf rauschte und die Hände das Steuer immer krampfhafter umklammerten. Es war gar nicht die Fahrt, vor der er Angst hatte. Es war nicht die Gefahr, die diese Hitze in ihm aufwallen ließ. Im Gegenteil. Er hatte nichts zu verlieren. Der Kitzel kam irgendwo anders her. Vielleicht war es sein Bruder, den er neben sich wusste und der von ihm irgendetwas erwartete, das er nicht genau benennen konnte. Er trat hart auf das Pedal und der BMW beschleunigte. Wurde immer schneller. Er nahm den Fuß vom Gas, als die Tempoanzeige fast die Hundert erreicht hatte.
    »Ja, Mann. Du kannst es. Siehst du?« Das Adrenalin besiegte die Angst – nur kurz. Eine Kurve. Viel zu schnell schoss das Auto auf das Eisentor des Lagerhauses am Ende der Straße zu. Sein Fuß suchte die Bremse.
    »Los, nach rechts.«
    Er riss das Lenkrad herum, während er voll auf die Bremse trat. Die Vorderräder folgten, doch die

Weitere Kostenlose Bücher