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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lino Munaretto
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umdrehte und weiter in die Nacht flüchtete.
    »Scheiße, Alex. Die sind alt. Ich bin lange davon weg!«
    Er konnte sich diese Lügen nicht mehr anhören. Er stolperte fast über einen Bordstein, fing sich wieder und lief weiter Richtung Straße.
    »Dann verpiss dich doch! Verpiss dich, wie du es immer getan hast, du Schwuchtel.« Justus’ Rufe verhallten auf dem großen Parkplatz.
    Alex trottete bis zur Bushaltestelle, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Dort ließ er sich auf die Bank fallen und knöpfte den Hemdkragen auf. Das Gitter war hart, aber Alex spürte nichts mehr. Den Kopf legte er an das stumpfe Plexiglas. Er atmete aus und merkte, wie er langsam ruhiger wurde, die Anspannung von seinen Schultern fiel und die letzte Wut aus ihm wich. Es war kein gutes, eher ein taubes Gefühl. Wie eine leere Hülle seiner selbst kam er sich vor. Als er nach rechts schaute, sah er nicht die Zigarettenwerbung, sondern nur sein schwaches, mattes Spiegelbild. Er hatte alles aus sich herausgeschrien und jetzt, da er die eigenen Worte und die seines Bruders wieder und wieder hörte, sah er auf einmal klarer. Er bereute nichts, weil er wusste, dass er endlich die Wahrheit gesagt hatte.
    Zweimal hielt der Bus. Er stieg nicht ein. Erst als der dritte und letzte an diesem Abend vorbeigefahren war, erhob er sich. Seine schweren Füße trugen ihn von alleine. Er hatte es nicht eilig, heimzukommen.

10
    Es war, als sei nichts passiert. Alex’ Mutter schwieg, und er wusste nicht, ob er sie dafür hassen sollte oder ob er froh sein konnte, dass sie ihn nicht auf Justus ansprach. Die Zweifel wichen schnell der gewohnten Gleichgültigkeit. Sein Bruder war wieder weg, und auch wenn es zwischen Alex und seiner Mutter unausgesprochen blieb, war er sich sicher, dass Justus so schnell nicht wiederkommen würde.
    Am letzten Wochenende vor den Ferien hatte Georg sich gemeldet: meld dich mal wieder du pussy. wir können heute bei mir saufen. habe sturmfrei. julian.
    »Bin heut Abend weg«, sagte er seiner Mutter knapp und verschwand im Bad, ohne auf eine Antwort zu warten.
    Seit dem Abend im Restaurant hatte er es vermieden, sich in die Augen zu schauen. Nachdem er die Haare geföhnt hatte, starrte er den Jungen im Spiegel an, als sei es ein Fremder. Ein Schwall kaltes Wasser änderte nichts, spülte die Gedanken nicht fort. Am liebsten hätte er seinem Gegenüber mit der Faust ins Gesicht geschlagen, bis es blutete. Er wollte wissen, ob er sich wehren würde.
    Dann verpiss dich doch, wie du es immer getan hast. War er so feige? Hatte er nicht vor wenigen Tagen noch an etwas geglaubt? Hatte er zu schnell aufgegeben? Alle Probleme, die er hatte verdrängen wollen, schienen ihn einzuholen. Immer dann, wenn er meinte, es geschafft zu haben, waren sie wieder da.
    Justus’ Worte wurden vom Handyklingeln vertrieben. Es war nur Flo. Nicht Lisa, das hatte er gehofft. Nicht Justus, das hatte er befürchtet.
    »Hey«, meldete er sich lustlos.
    »Hi, Alex. Kommst du heute Abend auch zu uns?«
    »Mal schauen.« Plötzlich war er sich nicht mehr so sicher.
    »Seid ihr neulich gut nach Hause gekommen?«
    »Jo, ging schon.«
    »Julian tut die Sache echt leid mit dem Joint und diesem Mädchen. Na ja, und das Gras hatte ich schließlich besorgt. Also fühl ich mich auch ein bisschen …«
    »Ist schon okay«, unterbrach Alex ihn hastig. Es war ihm nun wirklich egal. Flo konnte er keine Schuld geben, wenn überhaupt, musste er sich selbst einen Vorwurf machen.
    »Komm schon, du bist heute Abend dabei. Wir haben verdammt viel eingekauft. Du kannst doch nicht die ganze Zeit zu Hause Eier kraulen.«
    »Okay. Ich denk mal, dass ich komme.« Er wusste, dass es ihn ablenken würde. Und das brauchte er nun mehr als je zuvor.
    Als Alex um die Straßenecke bog, hörte er bereits Bässe durch das offene Kellerfenster. Einige Autos standen vor der Tür. Fahrräder waren gegen den Zaun gelehnt. Mit einer großen Party hatte er gar nicht gerechnet. Alex setzte seine Schritte mit Bedacht auf die Treppenstufen und ließ seine Hand langsam über das gusseiserne Geländer streichen. Vor der Tür hielt er eine Weile inne. Zwischen dem Lärm der Musik konnte er das Zirpen der Grillen vom nahe gelegenen Feld hören. Früher hatten sie dort im Sommer gezeltet. Er war wieder dort angekommen, wo er vor Kurzem aufgehört hatte. Vielleicht war es besser so, dachte er, als er auf die Klingel drückte. Vielleicht war es wirklich besser, wenn sein Leben blieb, wie es immer gewesen

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