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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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Erik? Ich bezweifle, dass Tom das wissen kann. Aber möglich wäre es natürlich. Es würde die Nachricht auf dem Laptop erklären: Er schreibt sie, stellt die Zeitschaltuhr, lässt den Laptop später angehen, wenn er nicht mehr da ist. Und er hätte auch im Eiscafé an deine Tasche gekonnt.«
    »Aber warum? Er kennt mich doch gar nicht. Er hat doch gar kein Motiv!«
    »Ich weiß es doch nicht, Julia. Ich weiß es nicht. Und Tom«, und er sagt es laut in den Raum, »ist uns ja auch keine Hilfe. Ah, warte.« Er hebt die Hand, während es um uns herum stickig wird. Watteluft. Ich schlinge meine Arme um mich, während Nikis Augen wieder diesen abgewandten, nach innen gekehrten Ausdruck bekommen.
    »Es muss dir nicht leid tun«, sagt Niki nach einer Weile. Es ist klar, dass er jetzt nicht mehr mit mir redet. »Ich will nur wissen, was los ist.«
    Tom. Er ist da.
    »Ja, das hast du schon gesagt. Aber damit können wir nicht viel anfangen.« Niki lauscht. »Ist er es selbst, oder hängt jemand an ihm dran?« Pause. »Wir verstehen so einiges nicht. Julia sagt, ihr könntet … nun, Besitz ergreifen oder so.« Leichtes Kopfschütteln. »Nein, auf keinen Fall. Sollst du nicht vormachen, danke. Sonst noch etwas? Etwas, das ich wissen sollte?« Abwesendes Lächeln. »Natürlich geht es um sie. Ja, sagtest du schon.«
    Die nächste Pause ist lang. So lang, dass ich schon denke, Niki ist eingeschlafen. Oder ohnmächtig geworden, mit offenen Augen. Irgendetwas tickt leise. Ich versuche herauszufinden, woher das Geräusch kommt, kann aber keine Uhr sehen: Wahrscheinlich ist in einem der Nebenräume eine. Ich bin nervös, meine Haut kribbelt. Betrachte das Poster mit den verschiedenen Urnen. Entscheide mich für eine schnörkellose in mattem Silber, ohne Rosen oder solchem Kitsch. Noch immer ist da das Wattegefühl, das auf die Ohren drückt, also nehme ich an, Tom spricht noch. Niki hat sich seit Minuten keinen Millimeter bewegt. Nicht mal geblinzelt, soweit ich erkennen kann.
    Als er endlich wieder spricht, klingt seine Stimme belegt. »Ja, danke. Das war echt cool.« Niki sieht hoch zu mir. Jetzt blinzelt er. »Ich werde sie auf jeden Fall fragen, aber sie steht nicht so auf Beerdigungen. Nein, du auch nicht. Schöne Scheiße, ich weiß.« Niki räuspert sich. »Also, danke noch mal, Alter. Und klar: Wir sehen uns. Du kriegst ’ne Bombenbeerdigung, soviel steht fest.« Dann ist Tom verschwunden. Ich weiß das, weil die Luft wieder besser wird, der Druck weg ist.
    Atemlos starre ich Niki an.
    Der besorgt wirkt. Nein, mehr als das, aber das will er mich nicht sehen lassen, denn er weicht meinem Blick aus. Dennoch kann ich erkennen, wie blass er ist. »Ich glaube«, sagt er, räuspert sich wieder und sieht hoch, »wir haben da ein Problem.«
     
    Es war das längste Gespräch, das er je geführt hat. Und das klarste. »Tom hat eine Menge Fragen beantwortet. Und das hat er nur für dich getan.« Ein leichtes Lächeln huscht über Nikis Gesicht. »Ich glaube, er ist in dich verschossen.«
    Wir sind rausgegangen in den Garten. Es ist nicht wirklich ein Garten, mehr ein Rasenstückchen hinter der Aufbahrungshalle, aber es ist grün, es ist wenigstens draußen. Ein wenig weiter weg von den Toten. Hier stehen vier Klappstühle und ein Campingtisch. Es stinkt nach dem übervollen Aschenbecher, den Niki so weit wie möglich wegschiebt: Die zwei Angestellten von Herrn Galanis verbringen hier ihre Pausen. Und es ist laut. Zu sehen sind die Autos der nahegelegenen Straße zwar nicht, aber zu hören.
    »Die Verstorbenen, mit denen ich rede, sind keine Geister, so wie du sie immer nennst«, beginnt Niki wiederzugeben, was er eben erfahren hat. »Tom bezeichnet sie als ›Seelen‹. Die tun gar nichts. Aber sie könnten, wenn sie wollten.« Er lächelt schwach und fährt fort, als ich nichts erwidere. »Du hattest also recht. Manche können sehr wohl Dinge anstoßen. Bücher umfallen lassen, so etwas. Und, das behauptet Tom zumindest, sie können Visionen bei Lebenden erzeugen. Verstärken eigene Ängste oder beschwören Bilder herauf.«
    Ich nicke. Denke an die Tante von Alice, die beides konnte: Bücher umschubsen und ein Bild vom toten Niki erscheinen lassen. Um mich abzuschrecken, nehme ich an: Die gute Tante wollte eben ungestört sein. Und die Toten aus der Pathologie? Die haben Felix und mich wohl auch weghalten, vielleicht auch vertreiben wollen. Entweder das, oder dies Heraufbeschwören fällt unter ihren Begriff von Spaß haben. Die

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