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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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. Kapitel
    W ir waren unzertrennlich. Sieben Mädchen, keine Jungs, was allein daran lag, dass wir auf eine Mädchenschule gingen. Wir waren eine Clique. Wenn Clique bedeutet, dass sich eine Gruppe von Leuten zusammentut, die alles miteinander teilen, dann waren wir sogar die ultimative Clique: Wir sprachen nicht einmal mit anderen Leuten. Zumindest nicht mehr als nötig. Sieben Mädchen, das reichte uns vollkommen. Alles drehte sich um uns, wir waren die Welt. Und jede war mit jeder befreundet.
    Im Nachhinein weiß ich, dass das nicht stimmt. Es gab immer zwei, drei unter uns, die besser mit der oder der konnten, es gab Verschiebungen, es gab Streitereien. Vor allem aber gab es Karolin.
    Karolin war der geheime Mittelpunkt, das Zentrum, um das sich unsere Clique drehte. Wenn wir eine gute Idee hatten, hatte Karolin eine bessere. Wenn wir etwas unternehmen wollten, kam es darauf an, wie Karolin drauf war. Karolin konnte eine Party zu einem unvergesslichen Erlebnis machen. Oder sie zerstören.
    Ich erinnere mich, wie wir uns für den Sportunterricht eine Choreographie ausdenken sollten. Karolin war zu spät, also fingen wir anderen schon einmal an. Wir hatten ungefähr die Hälfte dieses blöden Songs fertig, hüpften und verrenkten uns einigermaßen im Takt, als Karolin endlich auftauchte. »Sehr hübsch«, sagte sie, als sie sich unsere Tanzerei angesehen hatte. »Ich hätte da noch ein, zwei Vorschläge.« Nicht eine Figur, nicht ein Schritt, den wir so mühsam einstudiert hatten, blieb erhalten. Es war alles neu, alles Karolin: Letztendlich tanzten wir nach ihrer Pfeife. Es war das erste und einzige Mal in Sport, dass ich eine Eins bekam.
    Wie gesagt: Wir waren uns dessen nicht bewusst. Wir waren die Welt. Wir hinterfragten sie nicht.
    Bis ich Karolins Macht zu spüren bekam.
    Wir saßen im Halbkreis bei irgendjemandem zu Hause, war es bei Wiebke? Oder bei Heidi in dem Zimmer, das sie sich mit ihrer Schwester teilen musste? Egal. Wir tranken Tee. Mir war schlecht.
    »Was soll das heißen: Justin ist dein Halbbruder?« Der Ton, in dem Karolin das sagte, ließ alle aufsehen. Mich natürlich auch.
    »Habe ich doch gerade erzählt.« Und keine Macht der Erde würde mich dazu bringen, das noch einmal zu tun.
    »Und du hast nichts davon gemerkt?« Karolin hatte so eine Art, ihren Becher abzusetzen: eine gestelzte, zierliche Art. Für mich wirkte es wie in Zeitlupe. Alles wurde langsamer. Das Absetzen des Bechers dauerte eine Ewigkeit. Mein Herz pumpte eine Ewigkeit. Ich kam eine Ewigkeit nicht mehr dazu, etwas zu sagen.
    »Was gemerkt?«
    »Nun, du hast ihn doch geküsst. Richtig geküsst.« Karolin sagte es fast genussvoll. »Deinen eigenen Bruder. Merkt man so etwas nicht?«
    Ich war vierzehn. Weiter für mein Alter, wie man mir immer wieder bescheinigte, reifer. Ich las Liebesromane. War die Aufmerksamkeit von Jungen gewöhnt, wenngleich ich nicht unbedingt viel damit anzufangen wusste. Ich hatte schon früh meine Periode bekommen und trug als Erste einen  BH . Und ich hatte meinen eigenen Bruder geküsst. Alles andere, der Verrat, mein Vater, die Lügen, die sie mich glauben gelassen hatten, trat zurück hinter diesem einen, falschen Kuss.
    »Hat er dich auch angefasst?«, wollte Elke wissen.
    »Was? Nein, nie.«
    »Er hat dich umarmt.« Das war Wiebke, ich bin mir sicher.
    »Ja, das schon.«
    »Ihr wart zusammen im Kino. Da ist es doch dunkel.« Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hatte. Jemand anders kicherte.
    Spielt auch keine Rolle. Ich saß da im Kreis meiner Freundinnen. Es war, als hätte ich keine Haut mehr. Jedes Wort war messerscharf. Dann sagte Karolin: »Ich fand Justin eigentlich immer sehr nett.«
    Sehr nett.
    Nett.
    Ich muss es laut gesagt haben, denn Felix neben mir sieht hoch. »Was denn, Julia?« Nicht Schatz, meine Schöne, Babe: Seit einigen Tagen, seit der Beerdigung bin ich Nur-Julia.
    »Was denn?«
    Auch Maximilian und Fred schauen von ihren Büchern hoch, Konrad sowieso. Anni blinzelt nicht einmal, während sie mich anstarrt. »Wer ist nett? Brutus?« Wir arbeiten gerade an einem Referat über Julius Caesar, und Anni hat Brutus übernommen.
    »Wohl kaum. Ich war mit meinen Gedanken woanders.« Ich lächele entschuldigend.
    »Wir sind nett«, sagt Konrad und grinst merkwürdig. »Das hast du doch gemeint.« Er sitzt lässig an die Wand gelehnt und balanciert ein Geschichtsbuch auf den Knien. Für unser Referat beschäftigt er sich mit Caesars Tochter Julia, die von ihrem Vater aus

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