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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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dazu.
    Noch immer hat Niki seine Position nicht verändert. Zwei Krankenschwestern mit Tabletts kommen vorbei, betrachten Niki interessiert. Die eine flüstert der anderen etwas zu, beide kichern und drehen sich gerade rechtzeitig weg, um nicht gegen die Wand zu laufen. Ich bin erstaunt über den Eifersuchtsstich, den mir das versetzt.
    Hinter mir atmet Felix, ich kann seine Wärme spüren, ihn riechen. Ich sehe zu Niki, der an der Wand lehnt und aussieht wie tot. Wie ein Engel, oder wie hatte es Herr Galanis ausgedrückt? Ein dunkler Engel.
    Und dann passiert etwas, ohne dass ich genau sagen könnte, was das ist. Etwas verändert sich. Verdichtet sich. Mit einem Mal nimmt dies unwirkliche Gefühl zu, ist viel stärker als damals bei Alice. Der Flur kommt mir vor wie mit Watte gefüllt, alles scheint langsamer zu werden, schwerer. Der Linoleumboden wirkt stumpf. Die Aufmerksamkeit lässt nach, ich werde ruhiger. Kann beinahe mein Herz klopfen, das Blut in meinen Adern rauschen hören, meinen Atem.
    In der Wattewelt bin ich so auf mich konzentriert, dass ich mich fast zu Tode erschrecke, als Niki sich plötzlich aufsetzt. Er öffnet die Augen und starrt auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand.
    »Ich kann euch hören«, sagt er so laut, dass Felix und ich uns unwillkürlich umsehen.
    Mit einem Mal bin ich hellwach, sämtliche Muskeln und Nerven sind angespannt.
    Niki lauscht, dann nickt er. »Georg, Amelia, Frederik, ja, das habe ich verstanden.« Pause. »Nein.« Wieder Pause. »Wie man’s nimmt.« Pause, Pause.
    Felix und ich wagen es nicht, näher zu kommen. Wenn wir Niki glauben, und wir glauben ihm ja, dann redet er jetzt mit Geistern. Mit drei Geistern, soweit ich ihn verstanden habe. Und Felix hat recht: Wir glauben es, und wir glauben es nicht. Wir hören sie ja nicht. Und sehen tun wir sie, dem Himmel sei Dank, auch nicht. Dafür flackert und knistert jetzt das Flurlicht über uns. Wie magnetisch angezogen, richten sich Felix’ und mein Blick nach oben. An der fleckigen Decke sind Neonröhren aufgereiht. Eine davon scheint kaputt zu sein.
    Niki jedoch ist hell erleuchtet. Er verzieht das Gesicht zu einem Lächeln, das seine Augen nicht erreicht. Die starren weiter ins Nichts. »Schön«, sagt er, »scheint, als hätten Sie eine Menge Spaß, und deswegen … Ja, schon gut.« Er nickt.
    Wenn ich daran denke, wie ich ausgetickt bin, nur weil ein Geist etwas auf dem Computer geschrieben hat, dann kann ich nur bewundern, wie ruhig er bleibt. Jahrelange Übung, nehme ich an.
    »Können Sie die Sache nicht, keine Ahnung, ein wenig anheizen? Irgendwas wegnehmen? Verschieben?« Niki lauscht, dann nickt er. »Pusten«, sagt er. Wieder nickt er. »Noch was? Ja, keine Fragen, klar. Noch etwas?« Wieder die kleine Pause, der starre Blick. Der sich mit einem Mal auf uns richtet. »Ja«, sagt Niki klar und deutlich, »sie. Er nicht.«
    Nach einem letzten Knacken geht das Licht über uns aus. Wir befinden uns im einzigen dunklen Fleck auf dem Flur, und merkwürdigerweise habe ich mit einem Mal das Gefühl, als würde ich auf einer hellerleuchteten Bühne stehen. Ein eiskalter Schauer läuft mir über den Rücken. Ich frage mich, ob Geister im Dunkeln besser sehen können. So wie Raubtiere. Der Korridor wirkt wie … wie ausgestorben. Das ist das richtige Wort. Aus irgendeinem Grund bin ich mir sicher, dass uns im Moment niemand erreichen kann.
    Auch Felix spürt das. »Niemand da«, wispert er mir ins Ohr, und ich weiß, dass er nicht die Geister meint. Ich schaudere, lehne mich an ihn. Felix tut mir den Gefallen, legt seine Arme um mich und hält mich fest.
    Niki sieht weiter nach vorne. Wieder verzieht sich sein Gesicht zu diesem merkwürdig abwesenden Lächeln. »Was ist mit Computern?«, lässt er sich vernehmen. Dann seufzt er. »Es ist wichtig. Ja, es geht um sie.« Er lauscht, hebt die Hand. »Nur eins noch. Ich weiß. Ja, das mache ich. Aber das noch … Können Sie sich gegenseitig sehen?« Er lauscht angestrengt.
    Wir auch, obwohl das ja sinnlos ist.
    »Sehen Sie … nehmen Sie noch jemanden wahr? Jemanden, der nicht hierhergehört?«
    Wieder das Lauschen, doch jetzt verändert sich etwas: Etwas kommt auf uns zu. Panisch sehe ich mich um und drücke mich fester an Felix. Außer weißen Wänden ist nichts zu sehen, dennoch fühle ich mich wie im Urwald: beobachtet aus einem Versteck heraus, gejagt. Ich kann nichts erkennen, gar nichts. Da sind nur Felix und ich in dieser dunklen Lichtung, um uns herum

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