Zwischen Ewig und Jetzt
diese Tür für dich in jedem Fall verschlossen ist. Aber wie auch immer.« Er winkt ab und erspart mir eine Antwort. Dann mustert er mich ausgiebig von oben bis unten. »Gut siehst du aus, Schwesterherz.«
»Könnte ich das schriftlich haben?«
»Dass du gut aussiehst?«
»Das Schwesterherz.«
Justin grinst noch breiter. »Könnte dir so passen. Aber vielleicht«, und er macht eine Handbewegung ins Zimmer, »habe ich ja etwas übersehen und du bekommst es schriftlich. Aber bis dahin«, und sein Lächeln wird mit einem Mal ausgeknipst, »bleibt unsere verwandtschaftliche Beziehung wohl unser Geheimnis.«
Erst jetzt sehe ich, dass er Opas Zimmer auf den Kopf gestellt hat. Auf den Stühlen, dem Sessel, dem Sideboard und einem Tisch stapeln sich Bücher und Papiere. Die Klamotten liegen übereinander auf dem Bett. Im Flur stehen die Toilettenartikel als Indiz dafür, wie gründlich Justin vorgegangen ist.
»Sie können dich dazu zwingen. Zu einem DNA -Vergleich«, sage ich schwach.
Justin nickt. Sein spöttisches Lächeln ist zurück. »Damit droht mir dein Anwalt ununterbrochen. Und bis es soweit ist, sollte ich mich vielleicht vorsehen, wo ich Haare und Fingerabdrücke von mir hinterlasse. Wie im Krimi. Obwohl: Wer von uns ist noch mal in dieses Zimmer eingebrochen?«
»Deine Mutter muss als Nächste aussagen. Unter Eid.« Nicht, dass ich diesem Biest nicht eine fette Lüge zutraue, Eid hin oder her.
»Meine Mutter muss gar nichts mehr.«
Aha. Wahrscheinlich haben sie wieder mal den Richter rumgekriegt. Oder seine Mutter hat sich mit Krankheit rausgeredet, wie immer. Jedes Mal wird die Verhandlung wieder vertagt. Und jedes Mal dauert es Wochen, bis ein neuer Termin angesetzt wird.
Justin blickt aus dem Fenster. Für einen Augenblick hat er mich anscheinend vergessen. Dann fällt sein Blick auf den zugestellten Sessel davor. »Alles nur alter, nutzloser Kram. Hier findest du nichts. Nichts, was irgendetwas beweist. Wenngleich …« Er nimmt ein Bild hoch, ein gerahmtes Foto von mir. Es ist eins dieser gestellten Aufnahmen beim Fotografen, auf denen man ordentlich frisiert und gequält in die Kamera lächelt. Wir brauchten diese Bilder damals für das Programmheft der Theater- AG . Ich dachte eigentlich, ich hätte alle vernichtet. Justin hält es hoch. »Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich das hier behalte? Sozusagen als Erinnerungsstück. Obwohl wir sicherlich noch viel voneinander sehen werden, bis diese leidige Familienangelegenheit vom Tisch ist.« Er nimmt seinen Mantel von der Stuhllehne und steckt das Foto samt Rahmen in die Tasche. Er zieht ihn an, dann hält er inne, scheint zu überlegen. »Apropos Erinnerungsstücke.« Er schaut hoch, kommt mit wenigen Schritten zu mir herüber und bleibt so dicht vor mir stehen, dass ich sein Rasierwasser riechen kann.
Und ich, ein erbärmliches, vergangenes Ich, das sich anscheinend tief in mir versteckt hält, reckt sein misshandeltes Haupt und sehnt sich. Nur kurz. Nur den Bruchteil einer Sekunde. Dann hat die Angst mich wieder im Griff und lässt mich einen Schritt zurücktreten. Jetzt stehe ich mit dem Rücken an der Tür.
»Das hier«, sagt Justin leise und klopft auf seine Tasche, »ist mein Erbe. Es soll mich immer daran erinnern, was mein liebender Vater mir noch alles hinterlassen hat.« Er lacht freudlos. »Der letzte Mensch, der zu mir gehört, bist ausgerechnet du, Julia. Was für ein Hohn.« Und er greift nach mir, packt mein Handgelenk und zieht mich an sich.
Ich spüre seinen Körper, seinen Atem. Seine Hüften. Ich bin wie gelähmt.
»Julia«, sagt Justin. Er flüstert es fast. »Da ist etwas, was ich dir zeigen will.«
Ohne mich loszulassen, macht er einen Schritt zurück, um die Tür zu öffnen, dann zieht er mich hinaus auf den Flur. Hinter uns fällt die Tür ins Schloss.
»Was … was soll denn das?«, bringe ich endlich heraus.
»Sei ruhig«, knurrt Justin. »Ich muss nachdenken.« Er zieht mich den Flur hinunter.
»Nachdenken? Was soll das? Lass mich los!« Ich versuche, mich aus seinem Griff zu winden.
»Julia«, stößt Justin zwischen den Zähnen hervor, als wir beim Fahrstuhl stehen. Mit der freien Hand drückt er auf den Knopf. »Du bist gerade eingebrochen, hast gegen eine richterliche Anordnung verstoßen. Ich könnte dich anzeigen.«
Könnte er das? Für einen kurzen Moment bin ich unsicher und stehe still.
Der Fahrstuhl öffnet sich, und mein Halbbruder stößt mich hinein. Ohne mich dabei
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