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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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freizugeben.
    Gedanken wirbeln in meinem Kopf umher, Gedanken an damals, an meinen Vater, meinen Opa, aber es ist auch ein neuer darunter, den ich nicht recht fassen kann. Er ist wichtig. Er hat mit Trauer zu tun. Und mit dem Tod. Aber jetzt ist keine Zeit dafür: Jetzt sollte ich mich besser darauf konzentrieren, zu entkommen.
    Justins Griff um mein Handgelenk ist wie ein Schraubstock.
    Ich nehme mir fest vor, zu schreien wie am Spieß, sobald wir unten angelangt sind, aber natürlich ist mal wieder keine Menschenseele zu sehen. Keuchend versuche ich, mit Justin Schritt zu halten, der mich auf den Parkplatz zieht.
    »Das ist doch … lächerlich«, keuche ich.
    Justin antwortet nicht. Er zieht einen Autoschlüssel aus der Hosentasche, piept ein schwarzes Mercedes-Coupé auf und zwingt mich auf den Beifahrersitz. »Schnall dich an«, befiehlt er.
    »Was? Das ist Freiheitsberaubung.«
    »Du sollst dich anschnallen.«
    Ich schnalle mich also an. Schnalle mich aber sofort wieder ab, kaum dass er die Tür geschlossen hat und um das Auto herumgeht. Es gelingt mir, die Beifahrertür aufzustoßen, doch Justin ist schneller: Vom Fahrersitz aus zieht er mich zurück, beugt sich über mich und zieht die Tür wieder zu. Erneut erstickt mich sein Rasierwasser, doch dieses Mal sehnt sich gar nichts: Jetzt habe ich nur noch Angst.
    »Was willst du denn von mir?«
    »Ich muss nachdenken«, knurrt mein Halbbruder wieder, während er den Motor anlässt und die Türen verriegelt. Mit quietschenden Reifen fährt er los. »Schnall dich an«, wiederholt er zum dritten Mal.
    Ich tue, wie befohlen, und fühle dabei das Handy in meiner Jeansjacke. Wenn es mir gelingen würde … »Das ist eine Entführung«, sage ich, während ich unauffällig danach taste.
    »Ich will dir nur was zeigen.« Justin sieht starr geradeaus.
    »Nur?
Nur?
« Ich muss auflachen, und zugegebenermaßen klingt mein Lachen etwas hysterisch. »Ich kann mich noch gut an das letzte Mal erinnern, als du mir etwas gezeigt hast.« Und wie! Ich saß neben ihm in seinem Käfer. Wir waren Eis essen gewesen, Justin ungewöhnlich schweigsam. Ich habe am Radio gespielt und versucht, einen Sender zu finden, einen Song, den ich mochte. Sie spielten
This Is The Life
von Amy MacDonald und noch heute muss ich mich fast übergeben, wenn ich dieses Lied höre.
    Dieses Mal gibt es keine Musik.
    Ich taste nach dem Handy, drücke einmal an der rechten Seite: Jetzt ist es entriegelt. Es ist ein uraltes Modell, das ich mir statt meines sündhaft teuren angeschafft habe, und dafür bin ich dankbar: Ich kann die Tasten durch meine Jacken hindurch spüren. Die Nummer von Felix ist unter Kurzwahl auf der Eins gespeichert, ich muss also nur noch …
    »Welche Überraschung erwartet mich jetzt?«, frage ich, während ich blind auf dem Telefon herumtippe.
    »Was meinst du?« Justin fährt schnell und konzentriert.
    Ich tippe, starre geradeaus, ohne etwas zu sehen. »Na, das letzte Mal hattest du doch eine Bombenüberraschung für mich parat. So hast du mich doch auch reingelockt in dein Auto, oder? Ich habe eine Überraschung für dich, Julia, du wirst Augen machen«, äffe ich seine Stimme nach.
    Mein Halbbruder schnauft verächtlich. »Ich musste dich nicht großartig überreden, Julia, Schatz. Du bist mir freiwillig überallhin gefolgt wie ein Hündchen.«
    Ich zucke zusammen, versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Selbst schuld: Ich darf ihn nicht auch noch reizen. Inzwischen sollte mein Uralthandy gewählt haben, vielleicht hat Felix schon abgenommen. Vielleicht aber auch nicht: Das Bild eines einsam vor sich hinklingelnden Telefons in seiner Schultasche schießt mir durch den Kopf. Aber es ist meine einzige Chance. »Ich will aussteigen, Justin«, sage ich klar und deutlich. Falls Felix abgenommen hat und zuhört – was ich hoffe – muss er wissen, was vor sich geht. »Lass mich bitte raus.«
    »Ich will dir nur was zeigen«, erwidert mein Halbbruder stoisch.
    »Wohin fahren wir? Ist das die Ringstraße?« Meine Fragen dürfen nicht zu auffällig sein. »Ins Hotel, nicht wahr? Du fährst mit mir in ein Hotel am Cityring?« Ich schaue mich um. Nein, er biegt ab. »Du wohnst etwas außerhalb? Liegt dein Hotel außerhalb?«
    »Könntest du jetzt endlich, endlich die Klappe halten?« Justin schlägt gegen das Lenkrad.
    Ich verstumme. Klar habe ich Angst, aber ich darf nicht ruhig sein. Wenn Felix mich hört, muss er wissen, wo ich bin. »Das ist die Richtung, in der wir wohnen. Willst du

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