Zwischen Himmel und Liebe
ausstreckte, um ihre Mutter anzufassen. »Lass sie in Ruhe!«, rief Elizabeth laut, und plötzlich wurde es ganz still. Ihre Mutter hörte auf zu singen, und alle Köpfe wandten sich dem kleinen Mädchen an der Tür zu.
Doch dann brach in der Ecke, wo die Männer das Klavier umringten, lautes Gelächter aus. Tränen schossen Elizabeth in die Augen.
»Buuh, huuh, huuh«, grölte ihre Mutter am lautesten. »Wir müssen Mummy retten, auf geht’s!« Aus blutunterlaufenen, dunklen Augen glotzte sie Elizabeth an. Das waren nicht die Augen, die Elizabeth so gut kannte, sie gehörten jemand anderem.
»Scheiße«, fluchte Kathleen, sprang von der anderen Seite der Bar auf und stürzte zu Elizabeth. »Was machst du denn hier?«
»I-ich w-w-wollte n-n-n-nur …«, stammelte Elizabeth in die neuerliche Stille hinein. »Ich wollte zu meiner Mum, damit ich bei ihr wohnen kann.«
»Tja, sie ist aber nicht hier«, kreischte ihre Mutter. »Raus mit dir!« Anklagend deutete sie mit dem Finger auf Elizabeth. »Klatschnasse kleine Ratten sind im Pub nicht erlaubt«, gackerte sie und wollte schnell ihr Glas austrinken – was immer auch darin sein mochte. Aber sie verfehlte ihren Mund, sodass ein Großteil der Flüssigkeit in ihrem Dekolleté landete, sich schimmernd ausbreitete und ihr süßes Parfüm mit Whiskey vermischte.
»Aber Mummy!«, wimmerte Elizabeth.
»Aber Mummy«, äffte Gráinne sie nach, und ein paar Männer lachten. »Ich bin nicht deine Mummy«, verkündete sie barsch, trat auf die Klaviertasten und erzeugte ein äußerst unangenehmes Geräusch. »Kleine klatschnasse Lizzies verdienen keine Mummy. Man sollte sie vergiften, man sollte euch alle vergiften«, stieß sie hervor.
»Kathleen«, rief Mr. Flanagan. »Was machst du denn, schaff sie doch endlich hier raus! So was sollte das Kind nicht mit ansehen müssen.«
»Ich kann nicht«, entgegnete Kathleen, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Ich muss Gráinne im Auge behalten, die muss ich nämlich nachher mitnehmen.«
Schockiert blickte Mr. Flanagan sie an. »Würdest du dir das Mädchen bitte mal ansehen?«
Elizabeths braune Haut war schlohweiß geworden, ihre Lippen waren blau vor Kälte, ihre Zähne klapperten, und das völlig durchnässte Blumenkleid klebte ihr am Körper und an den zitternden Beinen in den Gummistiefeln.
Hektisch blickte Kathleen von Elizabeth zu Gráinne. »Ich kann wirklich nicht, Tom«, zischte sie.
Ärgerlich sah Tom sie an. »Dann muss wohl ich den Anstand zeigen, sie nach Hause zu bringen.« Damit holte er einen Schlüsselbund unter der Bar hervor, umrundete den Tresen und kam auf Elizabeth zu.
» NEIN !«, schrie Elizabeth. Sie warf noch einen Blick auf ihre Mutter, die bereits das Interesse an der Szene verloren hatte und sich in den Armen eines Fremden räkelte, drehte sich um und rannte hinaus in die kalte Nacht.
Elizabeth stand an der Tür der Bar, ihre Haare tropften, Regentropfen rollten über ihre Stirn und von ihrer Nase, sie klapperte mit den Zähnen, und ihre Finger waren taub vor Kälte. Die Geräusche in der Kneipe waren nicht dieselben, es gab keine Musik, keine Schreie und kein Jubeln, keinen Gesang, nur ein gelegentliches Gläserklirren und leise plaudernde Stimmen. An diesem ruhigen Dienstagabend waren gerade mal fünf Gäste im Pub.
Ein inzwischen älter gewordener Tom Flanagan starrte Elizabeth unverwandt an.
»Meine Mutter«, rief sie von der Tür, überrascht über den kindlichen Ton ihrer Stimme. »Sie war Alkoholikerin.«
Tom nickte.
»War sie oft hier?«
Wieder nickte er.
»Aber manchmal war sie wochenlang« – sie schluckte schwer –, »manchmal war sie wochenlang bei uns zu Hause.«
Sanft erklärte Tom: »Sie war das, was man eine Quartalssäuferin nennt.«
»Und mein Vater …« Wieder hielt sie inne und dachte an ihren armen Vater, der jeden Abend zu Hause saß und wartete. »Er wusste Bescheid«, fuhr sie fort.
»Ja, und er hatte eine Engelsgeduld«, nickte Tom.
Sie sah sich in der kleinen Bar um, blickte zu dem alten Klavier, das immer noch in der Ecke stand. Das Einzige, was sich in diesem Raum geändert hatte, war das Alter all dessen, was er enthielt.
»In der Nacht damals«, begann Elizabeth wieder, aber ihre Augen füllten sich mit Tränen, und alles, was sie herausbekam war: »Danke.«
Traurig nickte Tom.
»Haben Sie sie seither noch einmal gesehen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Glauben Sie … glauben Sie, dass Sie sie noch mal sehen werden?«, fragte sie,
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