Zwischen Himmel und Liebe
denn die kleine Samantha? Ich hoffe, ihr grabt nicht das Blumenbeet ihrer Mutter um.«
Jamie-Lynn war ein kleiner Wildfang und brockte ihren Freundinnen gelegentlich Ärger ein, während Calendula meistens in hübschen Kleidchen zu Teepartys ging und mit Barbies und den Figuren von My Little Pony spielte. Jamie-Lynn öffnete den Mund und fing an, in irgendeiner Fantasiesprache daherzuplappern.
Opal zog die Augenbrauen hoch. »Dann unterhältst du dich mit Samantha also immer noch in eurer eigenen Sprache?«
Jamie-Lynn nickte.
»Okay, aber sei vorsichtig. Es wäre keine gute Idee, wenn ihr das noch sehr viel länger macht.«
»Keine Sorge, Samantha lernt inzwischen, ganze Sätze zu sagen, und trainiert eifrig ihr Gedächtnis, wir brauchen die Geheimsprache bald nicht mehr«, erklärte Jamie-Lynn, jetzt für alle verständlich. Doch dann fügte sie mit trauriger Stimme hinzu: »Samantha hat mich nicht gesehen, als sie heute Morgen aufgewacht ist. Erst beim Mittagessen wieder.«
Alle wurden ein bisschen traurig und drückten Jamie-Lynn ihr Mitgefühl aus, weil wir ja wissen, wie sich so was anfühlt. Es ist immer der Anfang vom Ende einer Freundschaft.
»Olivia, wie geht es Mrs. Cromwell?«, fragte Opal ganz sanft.
Olivia unterbrach ihre Strickerei und schüttelte betrübt den Kopf. »Sie hat nicht mehr viel Zeit. Gestern Abend haben wir uns wundervoll unterhalten über einen Ausflug zum Sandymount Beach, den sie vor siebzig Jahren gemacht hat. Davon bekam sie richtig gute Laune. Aber als sie ihrer Familie heute Morgen erzählte, dass sie sich mit mir darüber unterhalten hat, sind alle einfach schnell gegangen. Sie glauben, Mrs. Cromwell redet von ihrer Großtante Olivia, die vor vierzig Jahren gestorben ist, und jetzt meinen sie, dass sie verrückt wird. Aber ich bleibe auf jeden Fall bis zum Ende bei ihr. Wie gesagt, es bleibt ihr nicht mehr viel Zeit, und die Familie hat sie im letzten Monat nur zweimal besucht. Da ist keiner, der sie zurückhält.«
Olivia schloss immer Freundschaften in Krankenhäusern, Hospizen und Altersheimen. Das war ihre besondere Begabung, und sie half den Leuten, bis in die frühen Morgenstunden in ihren Erinnerungen zu schwelgen.
»Danke, Olivia«, lächelte Opal und wandte sich dann an mich. »Also, Ivan, was gibt es in der Fuchsia Lane? Was ist denn so dringend? Dem kleinen Luke scheint es doch ganz gut zu gehen.«
Ich setzte mich bequem auf meinen Sitzsack. »Ja, ihm geht es gut. Sicher, an ein paar Dingen müssen wir noch arbeiten, zum Beispiel, wie er sich mit seiner Familiensituation fühlt, aber das ist alles nichts wirklich Weltbewegendes.«
»Gut«, sagte Opal und machte ein zufriedenes Gesicht.
»Aber das ist auch nicht das Problem.« Ich blickte in die Runde. »Seine
Tante
, die ihn adoptiert hat, ist
vierunddreißig
und kann manchmal meine Gegenwart
spüren
.«
Alle schnappten hörbar nach Luft und sahen einander erschrocken an. Ich hatte gewusst, dass sie so reagieren würden.
»Aber das ist noch lange nicht alles«, fuhr ich fort und bemühte mich, das Drama nicht allzu sehr zu genießen, denn schließlich war es mein Problem. »Heute war Lukes
Mutter
, die
dreiundzwanzig
ist, bei Elizabeth im Büro und hat mich
gesehen
und mit mir
gesprochen
!«
Erneutes Luftschnappen. Außer von Opal, deren Augen mich viel sagend anfunkelten. Als ich das sah, ging es mir gleich besser, denn ich wusste, dass Opal mit der Situation umgehen konnte. Das war immer so, und mit ihrer Hilfe würde ich mich bald nicht mehr so verwirrt fühlen.
»Wo war Luke, als du Elizabeth im Büro besucht hast?«, fragte Opal, und ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.
»Bei seinem Großvater auf der Farm«, erklärte ich. »Elizabeth hat mich nicht aus dem Auto gelassen, weil sie Angst hatte, ihr Vater würde wütend werden, wenn er herausfindet, dass Luke einen Freund hat, den er nicht sehen kann.« Die lange Erklärung machte mich richtig atemlos.
»Warum bist du dann nicht zu Luke zurückgegangen, sondern im Büro geblieben?«, fragte Tommy, der sich gemütlich auf seinem Sitzsack herumfläzte, die Arme immer noch hinter dem Kopf verschränkt.
Wieder funkelten Opals Augen. Was war denn nur los mit ihr?
»Weil …«, antwortete ich zögernd.
»Weil was?«, wollte Calendula wissen.
Nicht sie auch noch, dachte ich.
»Wie weit ist die Farm vom Büro entfernt?«, erkundigte sich Bobby.
Warum stellten sie mir die ganzen Fragen? Ging es denn nicht darum, dass diese Leute mich alle
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