Zwischen Himmel und Liebe
abgefahrenen Ideen, mit Joe und seinem Café, mit den Konkurrenten in ihrer Branche. Sie hatte das Gefühl, dass sie immer kämpfte, kämpfte, kämpfte. Und jetzt saß sie hier und kämpfte mit ihren Gefühlen.
Sie kam sich vor wie nach hundert Runden im Boxring, als hätte sie jeden Schlag, Hieb und Tritt einstecken müssen, den ihre Gegner sich ausgedacht hatten. Jetzt war sie erschöpft, ihre Muskeln schmerzten, ihre Abwehrmechanismen funktionierten nicht mehr, und ihre Wunden heilten längst nicht so schnell, wie sie es sich gewünscht hätte. Eine Katze sprang von der hohen Mauer, die Elizabeth von ihren Nachbarn trennte, und landete in ihrem Garten. Mit hochgerecktem Kinn und funkelnden Augen betrachtete sie Elizabeth und stolzierte gemächlich durchs Gras. So selbstsicher, so souverän, so hundertprozentig von sich überzeugt. Schließlich hüpfte sie auf die gegenüberliegende Mauer und verschwand in der Nacht. Elizabeth beneidete sie zutiefst um ihre Fähigkeit, zu kommen und zu gehen, wie und wann es ihr passte, ohne irgendjemandem Rechenschaft schuldig zu sein, nicht einmal denen, die sie liebten und für sie sorgten.
Mit dem Fuß schubste Elizabeth sich wieder an. Die Schaukel quietschte leise. In der Ferne schien der Berg zu brennen, während die Sonne sank und verschwand. Gegenüber wartete der Vollmond darauf, endgültig ins Zentrum der Himmelsbühne zu treten und die Nachtschicht zu übernehmen. Die Grillen zirpten laut, die letzten Kinder liefen nach Hause. Motoren wurden abgestellt, Autotüren zugeworfen, Haustüren geschlossen, Fenster zugemacht und Vorhänge vorgezogen. Dann trat Stille ein, Elizabeth war wieder allein und fühlte sich wie ein Gast in ihrem eigenen Garten, der in der herabsinkenden Dunkelheit ein ganz neues Eigenleben angenommen hatte.
In Gedanken ließ sie die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren. Als sie zu Saoirses Besuch kam, hielt sie inne, spielte die Szene mehrmals durch, und mit jeder Wiederholung steigerte sich die Lautstärke.
Irgendwann hauen sie alle ab, stimmt’s nicht, Lizzie?
Wie auf einer kaputten Schallplatte blieb ihre Erinnerung bei diesem Satz stecken. Er ließ sie nicht los, wie ein Finger, der sich in ihre Rippen bohrte. Immer heftiger. Zuerst kratzte er nur ein bisschen auf der Haut, dann grub er sich hinein, piekte und stakte, bis er schließlich durchbrach und zu ihrem Herzen vordrang. Geradewegs zu der Stelle, wo es am meisten wehtat.
Sie schloss ganz fest die Augen und begann zu weinen, schon zum zweiten Mal an diesem Tag.
Irgendwann hauen sie alle ab, stimmt’s nicht, Lizzie?
Immer wieder hörte sie die Worte, und sie schienen auf eine Antwort von ihr zu warten, auf irgendeine Reaktion. Schließlich kam sie, wie eine Explosion.
JA
!
, schrien ihre Gedanken. Ja, irgendwann hauen sie alle ab. Einer wie der andere, jedes Mal, unweigerlich. Jeder Mensch, der es je geschafft hatte, ihr Leben schöner zu machen und ihr Herz zu erwärmen, verschwand so schnell wie die Katze in der Nacht. Als wäre das Glück nur als Wochenendluxus gedacht, wie Eiscreme.
Ihre Mutter hatte das Gleiche getan wie die Sonne heute Abend: Sie hatte Elizabeth verlassen, hatte Licht und Wärme mit sich genommen. Onkel und Tanten waren gekommen, um eine Weile auszuhelfen, und irgendwann wieder gegangen. Freundliche Lehrer hatten sich um Elizabeth gekümmert, aber natürlich nur während des Schuljahrs. Sie fand Freunde unter ihren Altersgenossen, aber sie entwickelten sich unterschiedlich und befanden sich genau wie sie noch auf der Suche nach sich selbst. Und immer wieder waren es die guten Menschen, die sie verließen, die Menschen, die keine Angst hatten, zu lächeln und zu lieben.
Elizabeth schlang die Arme um die Knie und weinte und weinte, wie ein kleines Mädchen, das hingefallen ist und sich die Knie aufgeschlagen hat. Sie wünschte sich, ihre Mutter würde kommen und sie auf den Arm nehmen, würde sie in die Küche tragen, auf die Anrichte setzen und Pflaster auf ihre Wunden kleben. Und dann mit ihr herumtanzen und singen, wie sie es immer tat, bis die Schmerzen vergessen und die Tränen getrocknet waren.
Sie sehnte sich nach Mark, ihrer großen Liebe, wünschte sich, er würde sie in die Arme nehmen, in seine Arme, die so kräftig waren, dass sie sich darin winzig vorkam. Sie wollte sich eingehüllt fühlen von seiner Liebe, wollte von ihm gewiegt werden, langsam und sanft, wie er es immer getan hatte, wollte, dass er ihr beruhigende Worte ins Ohr
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