Zwischen jetzt und immer
hin zum Licht. Und überall stand oder hing Kunst: abstrakte Gemälde an der Wand, einige Keramikstücke und zwei von Wes’ kleineren Skulpturen zu beiden Seiten des Kamins. Ich hatte fest damit gerechnet, dass es so aussehen würde, wie es in einem Haushalt, in dem zwei Jungen allein wohnen, in der Regel eben aussieht: Pizzaschachteln auf dem Küchentisch, halb leere Gläser auf jedem freien Fleck. Aber es war erstaunlich sauber und aufgeräumt.
Bert eilte bereits den Flur entlang, ich hinterher, wobei wir an einer geschlossenen Tür und einem Schlafzimmer vorbeikamen.
»Die Frage ist: Punkte oder Streifen? Was meinst du?« Beim Sprechen öffnete er die Tür zu seinem Zimmer und sauste hinein. Ich dagegen blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen und starrte – nein, nicht die beiden Oberhemden an, die er mir zur Begutachtung entgegenhielt, sondern das gigantische Poster, das die ganze Wand hinter ihm bedeckte. SEID GEWARNT VOR DEM JÜNGSTEN GERICHT! stand darauf und darunter war eine explodierendeErdkugel abgebildet. Im Zimmer hingen noch mehr Poster dieser Art. Eins verkündete zum Beispiel DAS ENDE DER WELT IST NAH – NÄHER, ALS DU GLAUBST, auf einem anderen stand MEGA-TSUNAMI: EINE WELLE, TOTALE ZERSTÖRUNG. Was an Wandfläche überhaupt noch frei war, war mit Regalbrettern zugepflastert, in denen Unmengen von Büchern mit ähnlich lautenden Titeln standen.
»Streifen« – Bert wedelte mit dem einen Hemd – »oder Punkte. Punkte oder Streifen. Welches soll ich anziehen?«
»Nun«, begann ich, konnte mich allerdings kaum konzentrieren, so überwältigt war ich von der Zimmerdeko, »ich glaube –«
In dem Augenblick öffnete sich die Tür in meinem Rücken. Wes kam mit nassen Haaren, die er sich gerade mit einem Handtuch trockenrieb, aus dem Bad. Er trug Jeans, aber kein T-Shirt , was mich ungefähr so aus der Fassung brachte wie der Mega-Tsunami. Wahrscheinlich sogar etwas mehr. Er hob gerade die Hand, um mir grüßend zuzuwinken, da hielt er plötzlich inne. Und schnüffelte. Einmal. Zweimal.
»Bert!« Er verzog schmerzlich das Gesicht. »Was habe ich versucht dir über Rasierwasser beizubringen?«
»Ich habe doch kaum welches drauf«, antwortete Bert, doch Wes strafte ihn Lügen, indem er sich demonstrativ die Nase zuhielt. Was Bert nicht daran hinderte, die beiden Hemden, die zur Wahl standen, nun Wes auffordernd entgegenzustrecken. Offensichtlich wollte er mehr als nur eine Meinung hören, am liebsten vermutlich so viele wie möglich. »Wes, welches soll ich anziehen? Der erste Eindruck, den die Leute von einem haben, ist der allerwichtigste.«
»Mein Reden.« Wes’ Stimme drang nur gedämpft hinterseiner vorgehaltenen Hand hervor. »Welchen Eindruck willst du denn erwecken? Umwerfend – im wahrsten Sinne des Wortes . . .?«
Bert ignorierte die Spitze und wandte sich erneut an mich: »Macy, bitte. Streifen oder Punkte?«
Er rührte mich. Dieses Gefühl von Zuneigung überkam mich bei Bert des Öfteren, aber in dem Moment ganz besonders: Wie er da mitten in seinem Zimmer mit den aberwitzigen Postern stand, in seinem Feinripp-Unterhemd und einem Tempotaschentuchfetzen im Gesicht . . .
»Streifen«, sagte ich. »Sieht erwachsener aus.«
»Danke.« Bert ließ das Hemd mit den Punkten aufs Bett fallen, zog das andere an, knöpfte es in Windeseile zu und stellte sich vor den Spiegel. »So was Ähnliches hatte ich mir auch schon gedacht.«
»Mit Krawatte oder ohne, was hast du vor?«, fragte Wes und verschwand dabei wieder im Bad, wo er das Handtuch über die Stange des Duschvorhangs warf.
»Soll ich?«
»Wie willst du denn genau rüberkommen?«, fragte ich.
Bert überlegte. »Gut aussehend. Intelligent. Reif«
»Umwerfend«, ertönte es aus dem Bad, worauf Bert endgültig beleidigt das Gesicht verzog.
»In dem Fall solltest du tatsächlich einen Schlips tragen«, meinte ich.
Bert öffnete die Tür seines Kleiderschranks und begann darin herumzuwühlen. Ich drehte mich nach Wes um, der mittlerweile in seinem eigenen Zimmer stand und sich gerade ein graues T-Shirt anzog. Anders als bei Bert hing dort gar nichts an den Wänden, und die sparsame Möblierung bestand aus einem Futon, einer Getränkekiste, auf der sich Bücher stapelten, und einer Spiegelkommode. Im Spiegelrahmensteckte das Foto eines Mädchens, ihr Gesicht konnte ich allerdings nicht genau erkennen.
»Die Jahresversammlung des Armageddon-Clubs ist deshalb so wichtig, weil EDWler aus dem ganzen Land
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