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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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Menschen weiß. Ich kannte Wes zwar erst ein paar Wochen, dennoch wusste ich bereits, was ihm am peinlichsten war, weswegen er sich die meisten Sorgen machte, wann und wie er seine bisher größte Enttäuschung erlebt hatte. Wenn es dagegen um meine Mutter, Caroline oder Jason gegangen wäre, hätte ich nichts Genaues zu sagen gewusst. Ich wäre mir zu unsicher gewesen. Ihnen ging es umgekehrt mit mir bestimmt genauso.
    »Ich finde es trotzdem ziemlich gaga«, sagte Kristy zu mir, nachdem sie ein paar Mal zufällig den Schluss irgendeinerGeschichte mitbekommen hatte, zum Beispiel welches Horrorerlebnis Wes in der Siebten gehabt hatte oder warum ich meinen eigenen Hals komisch fand. »Ich meine, das Konzept von eurem Wahrheitsspiel verstehe ich ja noch so gerade. Aber ihr zwei quatscht doch bloß ununterbrochen. Das Ganze ist nichts als Gelaber.«
    »Genau darum geht es aber«, antwortete ich. »Der andere stellt dir eine Frage und du
musst
antworten, wenn du nicht verlieren willst. Im Prinzip ist das nichts anderes als eine Aufgabe zu erfüllen, die einem jemand aufbrummt wie beim Flaschendrehen. Und das kann jeder, da ist nichts dabei.«
    »Da bin ich anderer Meinung«, erwiderte sie mit Grabesstimme. »Wenn man schlau ist, entscheidet man sich grundsätzlich für die Wahrheit. Auf die Weise kann man wenigstens im Notfall lügen.«
    Ich sah sie prüfend an.
    »Was?« Kristy verdrehte die Augen. »Dich würde ich doch niemals anlügen. Nein, ich rede von den Regeln, die auf jeder anständigen Teenie-Party herrschen. Die haben ihre eigenen Gesetze und nur die Stärksten überleben. Überhaupt sagt niemand immer die Wahrheit.«
    »In unserem Spiel schon.«
    »Du vielleicht. Aber woher willst du so genau wissen, dass Wes das auch tut?«
    »Keine Ahnung«, antwortete ich. »Ich weiß es einfach.«
    Und das stimmte. Es war übrigens auch der Grund, warum ich mich in Wes’ Gegenwart so wohl fühlte: Bei ihm konnte ich mich bedingungslos darauf verlassen, dass er immer exakt das sagte, was er auch meinte. Nicht taktierte, nichts zurückhielt. Er hatte vermutlich keine Ahnung, wie sehr ich diese Eigenschaft an ihm schätzte.
     
    »Macy!«
    Ich drehte mich um. Bert stand in Unterhemd und Bundfaltenhose in der Auffahrt zu seinem Haus. An Kinn und Schläfe klebte jeweils ein Fetzen Tempotaschentuch   – eindeutige Signale für kleine Rasierunfälle. Er wirkte völlig verzweifelt. »Kommst du mal, bitte?«
    »Klar.« Ich lief über die Straße auf ihn zu. Je näher ich kam, umso stärker drang mir der Geruch nach Rasierwasser, der Bert wie eine Wolke umhüllte, in die Nase, bis ich schließlich überhaupt nichts anderes mehr roch. Was insofern bemerkenswert war, als dass ich die letzte Stunde damit zugebracht hatte, mit Delia Knoblauch für Hummus zu pellen, und selbst nicht gerade neutral roch.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    Statt zu antworten, machte er auf dem Absatz kehrt und lief so schnell und hektisch aufs Haus zu, dass ich kaum Schritt halten konnte. »Ich habe einen wichtigen Termin«, antwortete er mir über die Schulter hinweg, »und Kristy wollte mir helfen, mich zu stylen. Sie hat es
versprochen
. Aber sie und Monica mussten mit Stella Blumensträuße ausfahren und sind noch nicht zurück.«
    »Termin?«
    »Das Jahrestreffen meines Armageddon-Clubs. Ein echtes Mega-Event.« Sein durchdringender Blick bei diesen Worten sollte die Wichtigkeit des Ereignisses wohl noch unterstreichen. »Schließlich findet ein Jahrestreffen bloß einmal im Jahr statt.«
    »Da hast du allerdings Recht«, antwortete ich. Als wir die Stufen zur Veranda hochstürmten, löste sich einer der Taschentuchfetzen von seinem Gesicht, wirbelte hoch in die Luft und verschwand irgendwo hinter uns. Ein Gutes hatte das Gehetze zumindest: Die Wolke verflog und ichroch das Rasierwasser nicht mehr so deutlich. Zumindest kam es mir nicht mehr ganz so penetrant vor.
    Ich war noch nie bei Wes und Bert gewesen. Von der Straße aus sah man nur ein gemütlich wirkendes Holzhäuschen, daher war ich, als ich hinter Bert durch die Haustür trat, ziemlich überrascht, wie hell und weiträumig das Innere wirkte. In dem großen Wohnzimmer verteilten sich zwischen den Balken an der Decke mehrere Oberlichter, die Einrichtung bestand aus modernen, komfortablen Möbeln. Die Küche erstreckte sich über die gesamte Länge der hinteren Hauswand; über der Spüle befand sich ein riesiges Fenster, dem sich die zahlreichen Pflanzen auf der Küchentheke entgegenneigten,

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