Zwischen jetzt und immer
Vortragsredners an die Arbeitsgruppe
Fremde Kulturen
zu schicken; der Mann soll ja schon im August kommen). Ganz am Schluss der Mail schrieb ernoch, er sei jetzt zu müde, um weiterzuschreiben, und dass er sich in ein paar Tagen wieder melden werde. Als Letztes folgte nur noch sein Name, keine »lieben Grüße«, nichts. Nicht, dass ich mit so was gerechnet hätte. Jason war einfach nicht der Typ, der seine Zuneigung offen zeigte, weder mit Worten noch sonst wie. Pärchen, die zwischen Unterrichtsstunden im Schulflur rumknutschten, fand er unmöglich, und sobald es in einem Film auch nur ansatzweise romantisch, melodramatisch oder gar kitschig wurde, verzog er angewidert das Gesicht. Doch obwohl er es mir nicht so direkt zeigte, wusste ich, dass ihm etwas an mir lag. Er ging mit seinen Gefühlen eben so ähnlich um wie mit allem anderen, was er tat: präzise, knapp, sachlich. Trotzdem spürte ich es, vor allem an kleinen Gesten; zum Beispiel wenn er mir manchmal die Hand auf den Rücken legte oder mich anlächelte, weil ich ihn durch eine unerwartete Bemerkung verblüffte. Ganz früher hatte ich ja vielleicht mal andere Vorstellungen von einer Beziehung gehabt, mich jedoch mittlerweile Jasons Art angepasst. Langsam, aber stetig – eben seit wir zusammen waren. Und wir waren praktisch ununterbrochen zusammen. Deshalb musste er nichts Besonderes machen, mir nicht extra beweisen, was er für mich empfand. Wie so vieles andere war auch das etwas, worüber ich wie selbstverständlich Bescheid wusste. Oder zumindest Bescheid wissen sollte.
Doch immerhin würden wir in den kommenden Wochen länger getrennt sein als je zuvor; und allmählich dämmerte mir, dass die kleinen Bestätigungen, die kleinen Zuneigungszeichen, die ich in seiner Gegenwart bekam, sich übers Internet nicht so einfach vermitteln würden. Aber er liebte mich. Das wusste ich. Ich würde mich nur öfter selber dran erinnern müssen.
Nachdem ich wieder offline gegangen war, öffnete ich das Fenster, kletterte aufs Vordach und lehnte mich, die Knie an die Brust gezogen, an einen der Fensterläden. So hockte ich eine Weile da und schaute mir die Sterne an, bis ich von unserer Auffahrt her Stimmen hörte. Eine Wagentür wurde geöffnet, dann noch eine. Ich beugte mich etwas vor, spähte nach unten. Um den Lieferwagen mit der Aufschrift
WISH CATERING
tummelten sich einige Gestalten, die offenbar ein paar letzte Sachen einluden.
». . . dieser andere Planet, auf derselben Umlaufbahn wie die Erde. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir zusammenstoßen. In den Nachrichten melden die so was natürlich nicht, was allerdings nicht heißt, dass es nicht passieren wird.«
Bert. Noch bevor ich ihn sah, erkannte ich ihn an der Stimme (hoch, leicht angespannt). Er stand neben der Hintertür des Lieferwagens und unterhielt sich mit jemandem, der auf der Stoßstange hockte und rauchte; die Zigarettenspitze glühte rot durch die fast undurchdringliche Dunkelheit.
»Mmm . . . aha . . .«, machte die Person mit gedehnter Stimme. Monica, garantiert. »Echt?«
»Bert, hör endlich auf rumzulabern.« Wes – der Typ, der etwas älter war als Bert – trat näher und schob etwas auf die Ladefläche. Ich hatte ihn den Abend über kaum gesehen, weil er an der Bar im Hobbyraum bedient hatte, und in die Ecke war ich fast nie hingekommen.
»Ich will doch bloß, dass sie Bescheid weiß«, erwiderte Bert empört. »Schließlich geht’s um ein paar ganz harte Fakten, Wes, und nur weil du lieber ahnungslos durch die Gegend läufst –«
»Können wir?« Delia, Lucy auf der Hüfte, kam die Auffahrtentlang. Ihre Stimme klang leicht brüchig, wahrscheinlich vor Erschöpfung. Von ihrer kinderfreien Hand baumelte der Kindersitz, den Wes ihr jetzt abnahm. Von meinem Ausguck auf dem Dach konnte ich den oberen Teil seines Kopfes und sein weißes Hemd deutlich erkennen. Als hätte er meinen Blick physisch gespürt, legte er den Kopf in den Nacken und schaute nach oben. Intuitiv zog ich mich in den Schatten der Wand zurück.
»Sind wir bezahlt worden?«, fragte Bert.
»Zur Hälfte, auf die andere musste ich verzichten«, antwortete Delia. »Chaos kostet eben. Wahrscheinlich sollte ich mich darüber aufregen, aber ich bin ehrlich gesagt zu müde und zu schwanger, also ist es mir mehr oder weniger wurscht, zumindest im Moment. Wer hat den Autoschlüssel?«
»Ich«, antwortete Bert. »Ich fahre.«
Schweigen. Schweigen, das so lange dauerte, dass ich unwillkürlich wieder
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