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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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ihrem Cocktailglas. Die Tür ging auf und Kristy kam mit ihrer Platte herein, auf der ein paar benutzte Servietten lagen; als sie die kleine Konferenz an der Anrichte bemerkte, blieb sie abrupt stehen und fragte: »Was ist los?« Ich sah, wie Mollys Mutter auf die Narben starrte und dann rasch wegschaute, als Kristy ihren Blick erwiderte. Kristy ließ sich nicht anmerken, ob ihr das Starren etwas ausgemacht, ob sie es überhaupt wahrgenommen hatte. Sie stellte ihre Platte ab und strich sich eine Locke hinters Ohr.
    Ich klärte sie auf: »Serviettenprobleme.«
    Molly unterdrückte ein Schluchzen. »Da steht nicht
Für immer
, sondern
Für immer . . .
« Die Stimme versagte ihr fast und sie wedelte mit der Hand, als wollte sie die aufsteigenden Tränen wegwischen. »Das Pünktchen-Pünktchen-Pünktchen-Dingsda.«
    »Pünktchen-Pünktchen-Pünktchen-Dingsda?« Delia sah sie verwirrt an.
    »Sie wissen schon, dieses Zeichen, die drei Punkte, die man setzt, wenn ein Satz unvollendet bleiben soll oder man ein offenes Ende andeuten will. Diese drei Punkte eben, man nennt das   –« Vor lauter Grübeln legte sie ihre Stirn in Falten. »Sie wissen doch, was ich meine. Dieses Punkteding eben!«
    »Eine Auslassung«, sagte ich quer durch den Raum.
    Plötzlich richteten sich alle Augen auf mich. Ich merkte, dass ich rot wurde.
    »Auslassung?«, wiederholte Delia.
    »Drei Punkte hintereinander«, erklärte ich, aber weil sie mich immer noch verständnislos anschaute, fügte ich hinzu: »Mit drei Punkten kann man entweder einen Übergang oder einen Gedanken, der quasi in der Luft hängen bleibt, markieren, vor allem innerhalb eines Dialogs.«
    »Wahnsinn!«, meinte Kristy neben mir. »Gib’s ihnen, Macy.«
    »Genau!« Molly deutete zustimmend auf mich. »Da steht nicht
Molly und Roger. Für immer
, sondern
Molly und Roger. Für immer . . .
Pünktchen Pünktchen Pünktchen!« Mit ihrem Finger malte sie jeden einzelnen Punkt in die Luft. »Als sollte ausgedrückt werden: Vielleicht hält diese Ehe ja für immer, vielleicht aber auch nicht.«
    »Heiraten heißt doch sowieso
Für immer
, oder etwa nicht?«, murmelte Kristy leise, so dass nur ich es hören konnte.
    Molly hatte von irgendwoher ein Taschentuch hervorgeholt und tupfte sich das Gesicht ab. Ihr Atem kam stoßweise, in kleinen Schluchzern. Ich wollte sie trösten: »Ich glaube nicht, dass die Leute bei einer Auslassung automatisch denken: Ah, mal sehen, ob diese Ehe hält, anscheinend gibt’s da große Zweifel. Eine Auslassung ist in dem Zusammenhang viel eher ein Hinweis auf die Zukunft, auf das, was vor einem liegt.«
    Mit gerötetem Gesicht blinzelte Molly mich an. Und brach endgültig in Tränen aus.
    »Mannomann«, sagte Kristy.
    »Tut mir Leid«, beeilte ich mich zu sagen. »Ich wollte Sie nicht   –«
    Mollys Mutter fiel mir ins Wort: »Es geht nicht um das Für-Immer.« Sie legte den Arm um Mollys Schulter.
    »Natürlich geht es um das Für-Immer, worum sonst? Es geht um nichts anderes«, jammerte Molly laut, wurde jedoch jetzt von ihrer Mutter aus der Küche bugsiert; sanft und beruhigend redete die ältere Frau auf die jüngere ein. Schweigend blickten wir den beiden nach. Ich fühlte mich fürchterlich schuldig. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, meine Interpunktionskenntnisse vorzuführen.
    Delia rieb sich mit der Hand übers Gesicht und schüttelte den Kopf. »Du meine Güte«, sagte sie, als die beiden außer Hörweite waren. »Was machen wir denn jetzt?«
    Einen Moment lang herrschte erneut Schweigen, dann schob Kristy ihr Tablett ein Stück zur Seite und verkündete: »Was wir jetzt machen? Salat.« Sie schnappte sich einen Stapel Salatteller und verteilte sie einzeln auf der Arbeitsplatte. Monica zog die große Schüssel mit den Salatblättern näher zu sich, nahm sich eine Servierzange und gemeinsam machten sich die beiden an die Arbeit.
    Ich blickte noch einmal Richtung Tür und fühlte mich elend. Wer hätte gedacht, dass drei Punkte einen solchen Unterschied ausmachen konnten? Es hing wie immer davon ab, was man hineinlas   – wie bei der Liebe oder einem Wunsch oder bei was auch immer.
    »Macy?« Ich blickte auf. Kristy warf mir einen aufmunternden Blick zu. »Mach dir keinen Kopf. Es war nicht deine Schuld.«
    Vielleicht war es ja wirklich nicht meine Schuld. Trotzdem   – das war nun mal das Problem, wenn man alle Antworten kannte. Erst wenn man sie gegeben hatte, merkte man, dass die richtige, wahrheitsgemäße Antwort nicht

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