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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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welche. Montags arbeiten wir grundsätzlich nicht. Wahrscheinlich muss ich dir später noch tausend Kleinigkeiten erklären, aber das wäre erst mal das Wichtigste. Außerdem haben wir dazu jetzt keine Zeit, ich muss dich leider ins kalte Wasser schmeißen. Alles klar?«
    »Klingt gut«, sagte ich.
    Kristy war schon halb unten. Wandte den Kopf, blickte zu uns hoch und rief: »Komm schon, Macy, beeil dich.«
    Kopfschüttelnd öffnete Delia die Fliegengittertür und meinte lakonisch: »Anders ausgedrückt: Willkommen an Bord!«
     
    In der Bibliothek war ich zwei Wochen lang eingearbeitet worden. Bei diesem   – meinem neuen   – Job dauerte diese Phase exakt zwei Minuten.
    »Oberste Regel: Du musst immer wissen, was du auf dem Tablett hast«, erklärte Kristy. Wir standen nebeneinander an der Küchentheke und beluden Servierplatten mit Mini-Schinkenmuffins. »Und pass auf, dass keine verknüllten Servietten drauf landen, solange noch was Essbares daliegt. Kein Mensch nimmt irgendwas in den Mund, das neben einer gebrauchten Papierserviette gelegen hat.«
    Ich nickte. Sie setzte ihren Vortrag fort: »Und denk immer dran: Du bist gar nicht da . . .«
    Delia flitzte geschäftig an uns vorbei und stellte ein weiteres Blech mit Fleischklopsen auf die Arbeitsplatte.
    ». . . halte ihnen die Platte hin, lächle, sag ›Schinkenmuffins mit Dijonsenf‹ und geh zum Nächsten. Mach dich unsichtbar.«
    »Aha«, sagte ich.
    »Was Kristy meint, ist Folgendes . . .« Delia, die schon wieder am Backofen stand, hatte anscheinend das Gefühl, eingreifen zu müssen. »Du musst beim Servieren versuchen dich der Umgebung und der Atmosphäre anzupassen, damit die Gäste sich so wohl wie möglich fühlen. Du bist nicht eingeladen, sondern gehörst zu denen, die diese Einladung zu einem angenehmen Erlebnis werden lassen.«
    Kristy reichte mir eine Platte mit Schinkenmuffins und legte einen kleinen Serviettenstapel auf den Rand. Immer wieder ertappte ich mich dabei, dass meine Augen zu ihren Narben wanderten, vor allem in Momenten wie diesem, wo wir so dicht nebeneinander standen. Gleichzeitig merkte ich aber auch, dass ich mich allmählich an die Narben gewöhnte und mir noch andere Dinge an Kristy auffielen: die Glitzerpunkte auf ihrer Haut, die kleinen Silberringe an ihren Ohren, zwei an jedem. »Fang am Rand an und arbeitete dich dann langsam durch den Raum. Falls du einem Schlinger in die Quere kommst, bleib höchstens eine Sekunde stehen, geh dann so schnell wie möglich weiter   – lächeln nicht vergessen   – und bleib auf jeden Fall in Bewegung, selbst wenn er die Hand nach deiner Platte ausstreckt.«
    »Schlinger?«
    »Schlinger sind Partygäste, die dir die gesamte Platte abräumen, sofern du sie lässt. Eiserne Grundregel, wenn du einem Schlinger begegnest: zwei Stück von egal was und weiter. Bevor er sich ein drittes angeln kann, bist du weg.«
    »Zwei Stück, dann weitergehen«, sagte ich. »Kapiert.«
    »Wenn sie dich nicht weglassen wollen«, fuhr Kristy fort, »überschreiten sie eine entscheidende Grenze, nämlich die vom Schlinger zum Grabscher. Und das ist vollkommen inakzeptables Partygastverhalten. In so einem Fall ist es dein gutes Recht als Kellnerin, ihnen auf den Fuß zu treten.«
    »Nein, ist es nicht«, verkündete Delia über ihre Schulter hinweg. »Ausgeschlossen. In so einem Fall ist es dein gutes Recht, dich höflich zu entschuldigen und außer Reichweite zu gehen.«
    Kristy warf mir einen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Tritt sie«, meinte sie halblaut. »Das ist deine einzige Chance.«
    In der Küche herrschte die totale Hektik. Delia sauste zwischen dem Ofen und der Arbeitsplatte hin und her. Monica packte einen Alubehälter nach dem anderen aus, zum Vorschein kamen Lachs, Steaks, Kartoffelmousse. Eine Art elektrische Spannung lag in der Luft. Als würde die Zeit beschleunigt und alles sich in einem höheren Tempo abspielen als normalerweise. Das absolute Gegenteil zur Atmosphäre am Infoschalter in der Bibliothek. Ich kam gar nicht mehr dazu, darüber nachzudenken, ob ich überhaupt etwas anderes gewollt hatte als das ewige Schweigen dort. Denn ich steckte bereits mittendrin.
    »Wenn ältere Leute unter den Gästen sind, warte nicht darauf, dass sie zu dir kommen, sondern geh mit deiner Servierplatte zu ihnen, vor allem wenn sie sitzen.« Kristys Vortrag war noch nicht zu Ende, doch gleichzeitig schien sie loslegen zu wollen, denn sie warf einen Blick Richtung Tür. »Wenn Omilein nicht

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