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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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FRISCH.   Knallrote Buchstaben. Eine ältere Frau saß am Stand auf einemGartenstuhl und las im Schein einer großen Taschenlampe ein Buch. Als ich zum dritten Mal an ihr vorbeikam, ließ sie ihr Buch sinken und blickte mir nach. Beim vierten Mal trat sie in Aktion.
    »Hast du dich verfahren?«, rief sie, als ich im Schneckentempo an ihr vorbeifuhr und angestrengt die Landschaft absuchte, um endlich die blöde Abzweigung zu entdecken.
    »Eine schmale, ungeteerte Straße, die man leicht übersieht, da brauchst du bloß einmal im falschen Moment zu blinzeln«, hatte Delia gesagt. Ob das wohl eine Art Test für neue Mitarbeiter sein sollte? Ich bremste, legte den Rückwärtsgang ein, ließ den Wagen vor den Verkaufsstand rollen. Die Frau war mittlerweile aufgestanden und beugte sich durch das Fenster auf der Beifahrerseite. Sie war vielleicht Anfang fünfzig, trug Jeans, ein weißes, ärmelloses T-Shirt und einen Pullover um die füllige Taille. Die grauen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und ihr dickes, buntes Taschenbuch hielt sie noch in der Hand. Ich erhaschte einen Blick auf den Titel, auf dem ein Mann mit nacktem Oberkörper prangte, an den sich eine Frau in knallengem Kleid schmiegte:
Die Entscheidung
, von Barbara Starr. Statt Lesezeichen steckte eine Nagelfeile in dem Schmöker.
    »Ich suche den Sweetbud Drive«, sagte ich. »Angeblich muss man irgendwo von dieser Straße abbiegen, aber   –«
    »Gleich da drüben.« Sie wandte sich halb um und zeigte auf einen Schotterstreifen rechts von dem Obst- und Gemüsestand, der so schmal war, dass man ihn eher für einen Feldweg oder eine Zufahrt zu einem Privathaus halten konnte als für eine richtige Straße. »Ist nicht deine Schuld, dass du die Abzweigung übersehen hast. Gestern Nachtwurde nämlich wieder mal das Schild geklaut. Bestimmt von den Kiffern.« Mein Blick folgte ihrem ausgestreckten Zeigefinger zu einem dünnen Metallpfosten, an dem   – kein Schild befestigt war. »Schon das vierte Mal in diesem Jahr. Jetzt kann mal wieder niemand mein Haus finden, bis das Verkehrsamt endlich wen zu uns rausschickt, um ein neues Schild anzubringen.«
    »Ist ja schrecklich«, sagte ich.
    »Vielleicht nicht direkt schrecklich, aber auf jeden Fall lästig.« Ihr Taschenbuch wechselte von der einen Hand in die andere. »Als wäre das Leben nicht so schon kompliziert genug. Da sollte man doch zumindest Schilder haben, an denen man sich orientieren kann.« Sie richtete sich auf. Reckte sich. »Ach, und pass unterwegs gut auf, in der Fahrbahn ist ein tiefes Loch, gleich hinter der Skulptur. Das Ding ist wirklich mörderisch. Am besten hältst du dich ganz weit links.« Bevor sie zu ihrem Stuhl zurückging, klopfte sie aufmunternd auf meine Motorhaube und lächelte mich an.
    »Danke«, rief ich ihr nach. Sie hob grüßend die Hand, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich wendete, bog ab und fuhr vorsichtig den Sweetbud Drive entlang, wobei ich nach einer Skulptur und einem Loch in der Straße Ausschau hielt. Die Skulptur sah ich zuerst.
    Sie stand neben der schmalen Fahrspur auf einem freien Platz zwischen zwei Bäumen, war aus rostigem Metall in Form einer Hand und groß. Sehr groß, mindestens zwei Meter. Dazu wurde sie von einer zu einem Kranz gebogenen Metallstrebe eingerahmt, um die sich eine Fahrradkette wie eine Art Girlande wand. Mittendrin hatte die Handfläche ein herzförmiges Loch, in dem ein leuchtend rot bemaltes, etwas kleineres Herz aus Metall hing, das sich leicht imWind drehte. Während die Räder meines Autos zentimeterweise knirschend über den Kies rollten, saß ich am Steuer und starrte fasziniert zu der Skulptur rüber. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dieses Motiv schon mal gesehen zu haben.
    Und dann fuhr ich in das Loch.
    Mit einem scharfen Klong! verschwand mein linkes Vorderrad im wahrsten Sinne des Wortes in der Versenkung, und zwar vollständig. Aha, dachte ich, während sich mein Auto insgesamt schräg auf die Seite legte, deshalb hat sie was von mörderisch gesagt.
    Während ich noch so überlegte, wie ich mich wohl möglichst unauffällig aus dem Schlamassel befreien konnte   – es wäre mir nämlich schon peinlich gewesen, meinen ersten Auftritt bei Delia in Form einer Panne hinzulegen   –, sah ich plötzlich, wie jemand aus einem Haus weiter unten an der Straße trat und auf mich zulief. Es wurde allmählich dunkel, deshalb erkannte ich ihn nicht gleich. Erst als er schon fast vor meiner schiefen Stoßstange

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