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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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stand, merkte ich, es war Wes.
    »Was auch immer Sie jetzt tun, auf keinen Fall rückwärts rausfahren«, rief er mir zu. »Dadurch wird’s nämlich nur noch schlimmer.« Er beugte sich etwas vor, erkannte mich und wirkte auf einmal etwas verdutzt. Keine Ahnung, mit wem er gerechnet hatte   – mit mir jedenfalls nicht. »Hallo.«
    »Hi.« Ich schluckte. »Ich . . . äh . . . ich bin anscheinend   –«
    »Stecken geblieben.« Er vollendete den Satz für mich und verschwand für einen Moment außer Sichtweite. Offenbar war er in die Hocke gegangen, um das Loch mit meinem Rad drin zu begutachten. Ich reckte den Hals, um ihn sehen zu können. Dadurch dass mein Auto so schrägstand, befand ich mich auf Augenhöhe mit seinem Hinterkopf, und als er sich nun wieder aufrichtete, waren unsere Gesichter plötzlich sehr dicht beieinander. Obwohl ich eigentlich weiß Gott anderes im Kopf hatte, fiel mir sofort wieder auf, wie unglaublich gut er aussah, allerdings auf eine fast beiläufige Art. So als wäre das gar nichts. Wodurch es nur schlimmer wurde. Oder besser. Oder was auch immer. Jedenfalls schien es ihm nicht bewusst zu sein.
    »Bingo«, sagte er, als hätte daran irgendein Zweifel bestanden. »Du steckst fest, aber so was von.«
    »Dabei bin ich sogar vorgewarnt worden«, sagte ich. Wes stand auf. »Aber die Skulptur hat mich wohl zu sehr abgelenkt«, fuhr ich fort.
    »Die Skulptur?« Er sah erst die Skulptur und dann wieder mich an. »Wahrscheinlich weil du sie schon mal gesehen hast, oder?«
    »Was meinst du?«
    Einen Moment sah er mich verwirrt an, doch dann schüttelte er den Kopf. »Ach nichts, ich dachte bloß, du hättest sie . . . äh . . . vielleicht schon mal gesehen. In der Innenstadt stehen ein paar von den Dingern rum.«
    »Nein«, antwortete ich. Der Wind hatte sich gelegt; in der stillen Luft hing das Herz reglos in der Mitte der Handfläche. »Aber sie ist auf jeden Fall irre.«
    Irgendwo rechts von mir fiel eine Tür ins Schloss. Als ich den Kopf wandte, sah ich, dass Delia mit verschränkten Armen auf der Veranda eines weißen Hauses stand. »Macy?«, rief sie. »Bist du das? So was Dummes aber auch, ich habe vergessen dir das mit dem Loch zu sagen. Moment, wir holen dich da raus. Was bin ich bloß für ein Idiot! Warte, ich muss nur schnell Wes holen.«
    »Bin schon da«, rief Wes zurück. Delia ließ sich erleichtertauf ihren Verandastufen nieder. Zu mir sagte er: »Bleib, wo du bist, bin gleich wieder da«, und setzte sich in Trab.
    Ich blickte ihm nach, bis er auf dem Hof des Hauses am Ende der Straße verschwand. Kurze Zeit später hörte ich, wie ein Motor angelassen wurde. Dann erschien ein weißer kleiner Ford-Truck und fuhr auf mich zu. Die Strecke war wegen der Baumwurzeln in der Fahrbahn ziemlich holprig, weshalb der Truck ab und zu kleine Hüpfer machte. Wes rangierte an mir vorbei und setzte so lange zurück, bis unsere beiden hinteren Stoßstangen etwa einen halben Meter auseinander waren. Dann stieg er aus; aus dem Klirren und Scheppern, das seine Bewegungen begleitete, schloss ich messerscharf, dass er etwas an meinem Auto befestigte. Schließlich sah ich im seitlichen Rückspiegel, wie er zu mir nach vorne kam. Sein weißes T-Shirt leuchtete im Zwielicht der Dämmerung.
    »Der Trick besteht darin, genau den richtigen Winkel zu erwischen.« Er beugte sich vor, ergriff durchs Fenster mein Lenkrad und drehte es leicht zur Seite. »Ungefähr so, okay?«
    »Okay.« Ich legte meine Hände dahin, wo seine das Lenkrad berührt hatten.
    »Gleich bist du frei«, sagte er, lief zu seinem Truck zurück, stieg ein und legte den Gang ein. Meine Hände umschlossen das Lenkrad. Gespannt saß ich da und wartete.
    Der Motor heulte dröhnend auf und gleich darauf rollte der Truck ein Stück vorwärts. Zuerst geschah nichts   – doch dann setzte sich mein Auto auf einmal in Bewegung. Nach oben, Zentimeter um Zentimeter, immer ein bisschen weiter, bis ich im Licht meiner Scheinwerfer das Loch vor mir auf der Fahrbahn erkennen konnte. Ein Loch, das nun wieder leer war. Und riesig. Ein wahrer Mondkrater. Mörderisch war genau der richtige Ausdruck für dieses Loch.
    Als mein Wagen wieder waagerecht stand, sprang Wes aus dem Führerhaus und machte das Abschleppseil los. »Alles in Ordnung, jetzt müsstest du es allein schaffen«, rief er mir zu, wobei seine Stimme irgendwo auf Höhe meiner hinteren Stoßstange schwebte. »Halt dich einfach ganz weit links.«
    Ich steckte meinen Kopf durchs Fenster.

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