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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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lief das Wasser ein. »Aber der Job in der Bibliothek steht für dich nach wie vor an erster Stelle, oder?«
    »Ja«, antwortete ich. Und damit war die Sache erst einmal erledigt.
    Trotzdem hatte ich ein ganz seltsames, beklommenes Gefühl, während ich auf meinen Platz hinter der Infotheke zulief: meine zweite Woche in der Bibliothek. Obwohl wir offiziell um neun Uhr anfingen zu arbeiten und es erst zehn vor war, saßen Bethany und Amanda bereits auf ihren Stühlen. Aber das hätte ich mir natürlich denken können. Was war das nur für ein Gefühl, das mich gerade beschlich? Angst? Nein, eher so etwas wie eine unheilvolle Vorahnung. Vielleicht lag es am Schweigen. An der Stille, der Ruhe.Oder an der Art, wie Amanda ihren Kopf hob und mich stirnrunzelnd ansah.
    »Ach hallo, Macy«, sagte sie. Ihre Stimme klang wie jeden Tag, wenn sie mich begrüßte. Immer schwang darin ein verwunderter Unterton mit; als hätte sie gar nicht mehr mit meinem Kommen gerechnet. »Ich habe mich schon gefragt, ob du heute auftauchen würdest . . . ich meine, nach dem, was geschehen ist.«
    Natürlich wusste ich sofort, worauf sie anspielte. Jason war auf jeden Fall diskret und tratschte nicht gleich alles rum; doch außer ihm waren noch ein paar andere von unserer Highschool mit im Schlaumeiercamp, unter anderem ein gewisser Rob, der die Angewohnheit hatte, ständig zu blinzeln. Und Rob war mit Jason ebenso gut befreundet wie mit Amanda. Aber durch welche Kanäle die Neuigkeit auch gedrungen war   – diese Trennung war nicht länger mein Geheimnis, sondern Information. Info wie in Infotheke. Und was Information anging, waren Amanda und Bethany Expertinnen.
    »Ich meine, nach dem, was geschehen ist . . .«, wiederholte Amanda langsam, als ob ich sie vielleicht nicht gehört hätte, weil ich nicht sofort reagierte, ». . . zwischen dir und Jason.«
    Ich drehte mich so, dass ich sie frontal anschauen konnte. »Die Trennung ist nur vorübergehend. Eine Art Atempause. Und mit meinem Job hier hat das überhaupt nichts zu tun.«
    »Mag ja sein«, sagte Amanda. Bethany legte einen Kugelschreiber an ihre Lippen. Amanda fuhr fort: »Wir haben uns nur gefragt . . . besser gesagt, wir haben uns Sorgen gemacht, ob es dich vielleicht so beeinträchtigen könnte, dass deine Leistung darunter leidet.«
    »Nein, bestimmt nicht.« Ich wandte mich ab und meinem Computer zu, aber ich sah die beiden trotzdem noch, denn ihre Gesichter spiegelten sich im Bildschirm. Daher bekam ich mit, wie Amanda herablassend und mitleidig den Kopf schüttelte, wie Bethany mit gekräuselten Lippen ihre Zustimmung dazu signalisierte, bevor sie sich langsam umwandte und wieder geradeaus blickte.
    So begann mein bis dahin längster Tag in der Bibliothek. Viel tat ich nicht, obwohl ich sensationelle zwei Fragen beantworten durfte: eine von einem unrasierten Mann mit Alkoholfahne, der sich erkundigte, ob zufällig gerade eine Stelle frei sei; die andere von einer Sechsjährigen, die unbedingt die Adresse von Mickymaus brauchte   – beides Fragen, die Amandas und Bethanys Ansicht nach unter ihrer Würde, aber für mich gerade richtig waren. Jedenfalls zeigte sich an diesem Tag noch deutlicher als sonst, dass ich ihnen nur lästig war und sonst gar nichts. In der vergangenen Woche hatten sie mich immerhin noch halbwegs toleriert. Doch von nun an ignorierten sie mich gänzlich   – erstens weil es wegen Jasons Verhalten jetzt noch leichter geworden war, und weil sie sich, zweitens, als seine Freundinnen völlig im Recht fühlten.
     
    Wir hatten gerade zu Abend gegessen und ich erledigte noch meine üblichen Nach-dem-Essen-Aufgaben, wischte also die Arbeitsflächen in der Küche ab, als das Telefon klingelte. Ich ging gar nicht erst ran, weil es garantiert nicht für mich war, sondern einer der Kunden meiner Mutter. Doch plötzlich hörte ich, wie sich die Arbeitszimmertür öffnete.
    »Macy? Für dich.«
    Nachdem ich das Telefon in der Küche abgenommenhatte, hörte ich als Erstes ein leises Schluchzen mit langen Pausen. Eine Art Zwischen-Schluchzen, so wie jemand vor sich hin schnieft, der schon geweint hat und demnächst wieder damit loslegt.
    »Bitte, Lucy, bitte, Schätzchen.« Die Stimme übertönte das Schluchzen. »Das machst du jedes Mal, wenn ich telefonieren muss. Warum? Hmm? Warum   –«
    »Hallo?«, sagte ich.
    »Hi, Macy, hier ist Delia.« Das Blubberschluchzen entwickelte sich prompt zu einem lautstarken Protestgebrüll. »Lucy, Süße, bittebittebitte lass

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