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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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irgendwo eine Uhr schlagen hörte.
    »Rachel!«, brüllte jemand aus dem Jeep. »Komm endlich wieder her oder wir fahren ohne dich.«
    »Ich muss los.« Rachel stand auf, warf die langen Haare über die Schultern und wiederholte, als hätten wir sie beim ersten Mal nicht laut und deutlich gehört: »Ich muss jetzt los. Aber ich hab’s ernst gemeint. Das, was ich gerade gesagt habe, meine ich. Vergiss das nicht. Denk immer an das, was ich dir gesagt habe. Und dass ich es ernst gemeint habe, okay?«
    Ich war unfähig zu nicken, geschweige denn einen Ton von mir zu geben. Rachel stolperte Richtung Jeep, wo sie mit lautem Gelächter und ein paar spöttischen Sprüchen von wegen Wertschätzung und Wiederverwertung empfangen wurde. Dann stellte jemand das Radio an. Ein Song von Van Morrison ertönte, bei dem die ganze Truppe in dem Jeep sofort laut und schief mitsang.
    Es war einer dieser Momente, in denen man sich wünscht, man könnte sich in Luft auflösen. Zusammenschrumpfen, jedes einzelne Körpermolekül winzig klein werden lassen, bis man nicht mehr da ist. Aber ich wusste, so was war unmöglich.Es gab immer ein Danach. Deshalb hob ich den Kopf. Sah Kristy an. Merkte, dass Bert mich beobachtete. Nahm Wes’ und Monicas Gesichter aus den Augenwinkeln wahr. Ich atmete einmal tief durch, um   – ja, was sollte ich sagen? Keine Ahnung. Doch ich kam ohnehin nicht dazu, den Mund aufzumachen, denn plötzlich saß Kristy neben mir. Und nahm meine Hand: »Das war ja wohl die größte Idiotin, die mir je untergekommen ist.«
    »Allerdings«, meinte Bert leise, doch als ich endlich wagte, ihn direkt anzuschauen, sah ich nicht das verhasste Oh-das-arme-Mädchen-Gesicht. Nein, er schnitt eine belustigte Grimasse, die wohl ausdrücken sollte, dass er Rachels Auftritt mehr als daneben fand. Rachel, nicht mich!
    Kristy beugte sich über mich hinweg zu ihm vor und fragte: »War das nicht die   – ich meine, aus dem Mathekurs   –, der du erklären musstest, was eine ungerade Zahl ist?«
    Bert nickte: »Zweimal.«
    »Die Frau ist echt dümmer, als die Polizei erlaubt!«, sagte Kristy. Was Monica durch ein entschiedenes »Mmmhmmm« bekräftigte.
    Kristy verdrehte noch nachträglich die Augen und trank einen Schluck Bier. Ich spürte die Wärme ihrer Handfläche in meiner. Plötzlich fiel mir auf, wie lange es her war, seit jemand meine Hand gehalten hatte, und ich musste an Wes’ Skulptur denken, das Herz in der Hand. Ich sah ihn an. Er erwiderte meinen Blick. Und wie bei Bert war Wes’ Blick anders, als ich erwartet hätte. Weder Mitleid noch Trauer lagen darin. Nein, der Blick drückte aus: An unserem Verhältnis hat sich nichts geändert, ich sehe dich noch genauso wie vorher. Außerdem weiß ich, wie du dich fühlst. Mir wurde auf einmal bewusst, dass die Gesichter der Menschen, die mich in den letzten Monaten angestarrt hatten,trotz allen vermeintlichen Mitgefühls undurchdringliche Flächen gewesen waren und keine Spiegel, in denen ich mich oder meine Trauer hätte wiedererkennen können. Meine Trauer, meine Gefühle, die musste ich ganz allein ertragen. Das hatte ich jedenfalls geglaubt. Bis zu diesem Augenblick, in dem sich unsere Blicke trafen. Doch als ich Wes jetzt ins Gesicht schaute, hatte ich das Gefühl, etwas wiederzuerkennen   – wie man etwas wiedererkennt, das man zwar noch nie gesehen hat, wovon man jedoch weiß. Es existiert. Denn endlich, endlich schien tatsächlich mal jemand zu begreifen, wie es mir ging.
    »Aber ihr Top hat mir gefallen«, stellte Kristy fest. »Ich habe einen Rock, zu dem es perfekt passen würde.«
    Danach herrschte wieder Schweigen. Wir standen einfach zusammen und sagten nichts. Auf der Lichtung spielte jemand mit einer Taschenlampe rum, ließ ihre Strahlen über die Baumkronen wandern, so dass mal hier ein Ast, mal dort ein paar Blätter aufleuchteten und dann wieder im Dunkeln versanken. Ich wusste, in den letzten paar Minuten hatte sich mein Leben um hundertachtzig Grad gedreht. Ich hatte versucht mich rauszuhalten, den anderen nur das von mir zu zeigen, was ich wollte. Als wäre es möglich, nur Schnipsel und Teilstücke von mir preiszugeben, und zwar gerade so viel und genau so, wie ich es wollte. Doch so etwas funktioniert nur eine gewisse Zeit lang und dann eben nicht mehr. Irgendwann entsteht auch aus den winzigsten Fragmenten unweigerlich ein Ganzes.
     
    Eine Stunde später hockten wir drei Mädchen auf dem Sofa im Bertmobil und unterhielten uns ohne noch irgendetwas

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