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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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übertönt wurde.
    Kristy ließ ihre Handtasche elegant durch die offene Wagentür segeln, hielt sich an der hinteren Tür fest und schwang sich ins Innere der ehemaligen Ambulanz. Die Musik steuerte unaufhaltsam auf einen Höhepunkt zu, wurde noch intensiver. Vor allem hörte man jetzt sehr laut kreischende Gitarren. »Bert, drehst du das bitte mal leiser«, brüllte Kristy.
    »Nein«, brüllte er zurück.
    »
Pink Floyd
. Meine Strafe. Er weiß nämlich, wie sehr ich die Gruppe hasse«, sagte sie zu mir. Und zu Bert: »Dann mach wenigstens einen Moment das Licht an hier hinten. Macy kann nichts sehen.«
    Prompt flackerte die Neonröhre über Kristys Kopf auf und erwachte summend zum Leben. Sie tauchte das Wageninnere in ein graues, fahles Licht. Was so stark an Krankenhaus erinnerte, dass ich zunehmend nervös wurde. Ich war nervös gewesen von dem Moment an, da wir aus dem Hausgekommen waren   – klarer Fall von Krankenwagenphobie   –, aber jetzt wurde das Gefühl fast übermächtig. »Für dich tut er’s wenigstens«, sagte Kristy und streckte die Hand aus. »Hier, nimm und zieh dich hoch. Sieht schlimmer aus, als es ist. Du schaffst es, garantiert.«
    Ich nahm ihre Hand, ließ mich von ihr hochziehen   – ich war überrascht, wie viel Kraft sie hatte   – und im nächsten Augenblick stand ich drin. Um nicht oben anzustoßen, musste ich den Kopf leicht gesenkt halten. In meinen Ohren schwirrte das Neonsummen. An der einen Wand stand ein mit schwerem braunen Stoff bezogenes Sofa; zwischen dem Sofaende und der Rückenlehne des Fahrersitzes klemmte ein kleiner Tisch. Wie ein fahrbares Wohnzimmer, dachte ich. Kristy schnappte sich ihre Tasche, hangelte sich nach vorn und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Ich setzte mich aufs Sofa.
    »Bert, bitte mach das leiser.« Kristy versuchte die Musik zu übertönen, die in meinen Ohren hämmerte. Doch er beachtete sie gar nicht, sondern drehte den Kopf, um betont gleichgültig aus dem Fenster zu blicken. »Bert. Bert!«
    Und da, endlich   – gerade als die Musik
und
mein Kopf zu explodieren drohten   –, streckte Bert die Hand aus, drehte am Lautstärkeregler. Plötzlich war es bis auf ein langsames Klopfgeräusch still. Poch poch poch.
    Endlich dämmerte mir, dass das Geräusch von der hinteren Tür hereindrang. Ich stand auf, öffnete sie. Monica, eine Zigarette im Mundwinkel, blickte zu mir hoch.
    »Hand«, sagte sie.
    »Erst ausmachen.« Bert beobachtete sie im Rückspiegel. »Im Bertmobil wird nicht geraucht, das weißt du genau.«
    Monica nahm einen letzten, tiefen Zug, ließ die Kippe fallen, trat drauf, streckte erneut die Hand aus und ich zogsie hoch in den Wagen, so wie Kristy es mit mir gemacht hatte. Kaum war sie drinnen, sackte sie aufs Sofa, als hätte schon diese Minianstrengung sie völlig ausgepowert.
    »Können wir jetzt endlich fahren?«, fragte Bert. Ich zog die Türen von innen wieder zu. Kristy fummelte vorne am Radio herum; statt der wehklagenden Frau war nun ein munterer, rhythmischer Popsong zu hören. »Oder braucht ihr noch ein paar Minuten, um mich endgültig in den Wahnsinn zu treiben?«
    Kristy verdrehte die Augen. »Wo ist Wes?«
    »Er will sich dort mit uns treffen. Falls wir jemals dort ankommen.« Genervt deutete er auf die Digitaluhr am Armaturenbrett: neunzehn Uhr siebenunddreißig. »Siehst du das? Der Abend ist schon halb vorbei. Vorbei, sage ich.«
    »Stell dich nicht so an, es ist noch total früh«, meinte Kristy. »Wir haben jede Menge Zeit.«
    Was gut war. Denn mit Bert am Steuer brauchten wir auch jede Menge Zeit.
    Er fuhr nämlich langsam. Sehr langsam. Und nicht nur das   – er war extrem vorsichtig und korrekt. Der Traum jedes Fahrlehrers. Selbst wenn Grün war, blieb er vorsichtshalber kurz stehen, bevor er weiterfuhr; er bremste an Bahnübergängen, wo seit Jahren kein Zug vorbeigekommen war, und hielt sich sklavisch an die Geschwindigkeitsbegrenzungen, wenn er nicht sogar langsamer fuhr als erlaubt. Seine Hände lagen vorschriftsmäßig am Lenkrad, also immer schön »auf zehn und zwei Uhr«, wie es in der Fahrtheorie gelehrt wird. Wie ein Luchs beobachtete er die Fahrbahn, um jederzeit auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.
    Deshalb kam es mir vor, als wären wir Ewigkeiten unterwegs. Schließlich bogen wir von der Hauptstraße auf einen Schotterweg ab. Irgendwann fuhren wir dann nur noch übereinen Grasstreifen durch ein Wäldchen, bis wir eine Lichtung erreichten. In der Mitte standen ein paar

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