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Zwischen Krieg und Terror

Titel: Zwischen Krieg und Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tilgner
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Gemeinsam werden wir sofort in das Haus der Gastgeber gefahren. Während wir Tee trinken, erhält ein Lehrer, der uns vorher in der Stadt begleitet und offensichtlich Kontakt zu einer der Untergrundgruppierungen hat, Informationen über die Lage. Er weiß sehr schnell, dass Amerikaner in die Stadt gekommen sind. Auch die Anzahl der Soldaten und die Viertel, in denen sie patrouillieren, sind ihm bekannt. Das Filmen ist uns weiterhin erlaubt.
    Nach einer Stunde verlassen die Soldaten die Stadt, ohne dass es zu einem einzigen Zwischenfall gekommen ist. In den Wochen zuvor ist auch in Rawah gekämpft worden, weil US-TRUPPEN Aktivisten des Widerstands festnehmen wollten. Offensichtlich haben die Amerikaner ebenfalls Kontaktleute in der Stadt, die immer wieder mit Angehörigen der islamischen Komitees aneinander geraten. Dass der Hass auf die US-Truppen immer mehr wächst, hängt auch mit ihrer höchst rücksichtslosen Vorgehensweise zusammen, bei der sie die Sitten und Gebräuche der Region wenig oder gar nicht beachten: Als im Oktober 2003 eine ältere Frau, deren Haus durchsucht werden soll, den Soldaten die Tür nicht öffnet, schlagen diese ein Fenster ein und werfen eine Handgranate in die Küche. Die Bewohnerin, die aufgrund ihrer Erziehung die fremden Soldaten gar nicht hereinlassen durfte, wird getötet. Noch drei Monate später erinnern Blutspuren und von Granatsplittern zerstörte Fliesen an den Zwischenfall. Die Söhne der Toten, ein Lehrer und ein Taxifahrer, wurden nach dem Vorfall verhaftet, einer der beiden wurde anschließend in das Gefängnis von Abu Ghraib, das später traurige Berühmtheit erlangen sollte, geschafft und dort schwer misshandelt. Monate danach, noch bevor der Folterskandal bekannt wird, zeigt er mir eine auf Packpapier geschriebene Entlassungsbescheinigung. Die Wunden von den Plastikkabeln, deren Fesseln sich tief in seine Handgelenke einschnitten, sind noch nicht richtig vernarbt. Dennoch fällt es mir schwer, ihm zu glauben, als er im Interview berichtet, wie er in Abu Ghraib geschlagen und misshandelt wurde. Auf diese Weise habe man versucht, ihm ein Geständnis über Aktionen gegen die US-Truppen abzupressen. Ich misstraue den Aussagen, weil ich annehme, er wolle den Tod seiner Mutter mit Anschuldigungen gegen US-Soldaten rächen. Sechs Wochen später wird der Folterskandal von Abu Ghraib bekannt. Sofort erinnere ich mich an den fünfundvierzigjährigen Lehrer, und mir wird klar, dass er mit seinen Aussagen nicht übertrieben hat.
    Für Menschen in Europa mögen sich Torturen und Erniedrigungen irakischer Gefangener in Abu Ghraib als Zeichen einer mangelhaften Vorbereitung der US-Soldaten auf die Auseinandersetzung mit der Zivilbevölkerung in einer Nachkriegssituation werten lassen, den Irakern bedeuten sie mehr. Die wissen, dass viele der Gefolterten willkürlich festgenommen werden, und das oft nur, weil sie zufällig am Ort des Einsatzes von US-SOLDATEN waren. So sehen die Iraker sehr wohl die Kontinuität aus der Zeit der Diktatur Saddam Husseins, der Oppositionelle und Unschuldige ebenfalls foltern ließ - und dies sind denkbar schlechte Voraussetzungen, um die Menschen im Irak vom leuchtenden Vorbild ihrer demokratischen Befreier zu überzeugen.
    Wenn ein Gefangener gezwungen wird, sich nackt auszuziehen und eine Frau einen Hund - ein in den Augen vieler Moslems unreines Tier - auf diesen Mann hetzt, wird er in unglaublicher Weise gedemütigt. Diese Schmach wiegt so schwer, dass er nach seiner Entlassung nicht einmal im Familienkreis darüber reden wird. Stattdessen wird er auf bittere Vergeltung sinnen. Und solch eine Rache ist in einer durch Familien, Sippen und Stämme geprägten Gesellschaft nicht die Aufgabe eines Einzelnen, sondern Verpflichtung für jeden Angehörigen, sich daran zu beteiligen. Mit Auftritten dieser Art ist es US-Soldaten binnen kürzester Zeit gelungen, sich weite Bevölkerungskreise im Nordirak zu erbitterten Feinden zu machen.
    Wegen der Misshandlung irakischer Gefangener in Abu Ghraib sind auch zwei Jahre, nachdem diese Verbrechen bekannt wurden, erst elf Armeeangehörige verurteilt. Kritiker weisen darauf hin, dass bisher kein hoher Offizier der US-Streitkräfte oder kein Regierungsbeamter in Washington wegen der Foltervorfälle belangt wurde, obwohl angeklagte Soldaten stets beteuern, auf Befehl und mit Wissen von Vorgesetzten gehandelt zu haben.

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